immer vernehmbarer in ihm. Aber wer riefe und wo, – das konnte er nicht verstehen. Er war ratlos und lauschte angespannt.
Ja, er war schon ganz sicher, daß ihn irgendeine gedämpfte, ferne Stimme rufe, daß ihn jemand erwarte, an ihn denke … Tausendmal stürzte er sich mit angespannten, suchenden Gedanken in die Leere des Enträtselns, und tausendmal sank er wieder zusammen, von vergeblicher Anstrengung erschöpft.
„Wer ruft mich?“ fragte er laut, in höchster Ungeduld.
Es wurde ihm keine Antwort, doch auch dies dumpfe Rufen hörte nicht einen Augenblick auf, es zitterte in seinem Herzen wie ein ferner, ferner Schrei der Sehnsucht.
Und zuweilen hörte er es so deutlich, als riefe ihn jemand hinter dem Fenster, durch die Wand, oder draußen im Flur, doch hinter den Fenstern rauschten nur die Bäume und zwitscherten die frierenden Vögel, und im Flur war es leer.
Er kehrte in seine Wohnung zurück, immer erregter und so ermüdet von der vergeblichen Anstrengung, etwas zu enträtseln, daß er sich schließlich auf die Ottomane legte und einschlief. Mittag war vorüber, schon sank die Dämmerung, als er erwachte.
„Komm!“ so erscholl eine Stimme über ihm.
Er erhob sich eiligst und schaute sich mit bewußtlosen Augen im Zimmer um. Es war niemand da, schon breitete sich dichtere Dämmerung aus, graue, trübe Wolken verhüllten alles, die Möbel waren kaum in ihren Umrissen zu sehn, die Spiegel schimmerten grau wie trübe Eisblöcke.
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/187&oldid=- (Version vom 1.8.2018)