Er lief in der City umher, und dort wurde er zuweilen ganze Stunden von der wogenden Menge fortgetragen, doch er war ihnen fremd und fern und lauerte fortwährend mit angespannten, hungrigen Augen; er ging in die Museen hinein, verlor sich tief in den öden, durchweichten und nebligen Parkanlagen, irrte an den Kais umher, fuhr mit allen Omnibussen, die ihm begegneten, wobei er fortwährend umstieg. Er besuchte überfüllte Theater und Banken, umkreiste London in Untergrundbahnen, er war überall, unermüdet und unaufhörlich, und jagte fieberhaft einem unfaßbaren Phantom nach, immer lauernd und dabei vertrauensvoll, ruhig und sicher, daß er das finden würde, was er suchte …
Sogar die Schutzleute wurden aufmerksam auf sein blasses Gesicht und seine irren Augen, die fortwährend in den Massen nach etwas suchten, auf diese durchdringenden und doch leeren Augen, und auf seine unberechenbaren Bewegungen, denn er hatte sich schon viele Male auf dieser Jagd in das größte Gedränge zwischen Wagen und Omnibusse geworfen, direkt unter die Pferde, aber immer kam er durch einen wunderbaren Zufall unverletzt davon, ja er wußte nicht einmal, daß er in Gefahr gewesen war. Und langsam begann ihm auch das Empfinden für die äußere Wirklichkeit zu entschwinden, denn wie er so ununterbrochen mit bis zur äußersten Grenze angespannter Aufmerksamkeit lauerte, hörte er auf, die Menschen zu bemerken und zu unterscheiden, sie kamen ihm vor wie ein Ungeheuer mit tausenden von Köpfen und Gliedmaßen, das sich unaufhörlich
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/134&oldid=- (Version vom 1.8.2018)