wie von Amts wegen in die Kirche laufen zu müssen.“
„Ach, und wie langweilig, wie langweilig das ist! Nur erwähnen Sie nichts davon zu Hause, alle Tanten wären gegen Sie!“ rief sie fröhlich und schmiegte sich an seinen Arm.
„Würden Sie mich in Schutz nehmen, wie?“
„Nein, nein, denn auch ich bin schuldig, denn auch mich langweilt das …“
„Weswegen gehorchen Sie dann einem Zwange, der Ihnen so unangenehm ist?“
„Weil ich eine fürchterliche Angst vor den Tanten habe. So oft ich mich gegen sie auflehnen wollte, brauchte nur Tante Dolly hinter ihren Brillengläsern hervor mich anzuschauen und Tante Ellen zu sagen: Betsy! – und schon war’s vorbei mit mir … Ich kann kein Wort mehr sagen, nur weinen möchte ich, und es ist mir so peinlich, so peinlich …“
„Miß Betsy, Sie sind noch ein großes Kind.“
„Aber einmal werde ich doch auch erwachsen sein, nicht wahr?“ fragte sie süß. „In einem Jahr, da werde ich doch sicher erwachsen sein,“ fügte sie mit einem Lächeln hinzu und barg ihr Gesicht im Muff; sie war errötet: in einem Jahr sollte ihre Hochzeit sein.
„O ja, ja,“ rief er lustig und sah ihr in die Augen. „Ja, in einem Jahre wird Betsy erwachsen sein, in zehn Jahren sogar eine Dame, in zwanzig eine achtunggebietende Matrone, und in vierzig wird Miß Betsy wie Miß Dolly sein, alt, grau, gebückt, wird die Bibel lesen und wird die Jungen nicht mehr leiden
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/031&oldid=- (Version vom 1.8.2018)