einen Stein ergriff und ihn über die Böschung rollte. Das Felsstück polterte, schlug andere Zacken los, ein Steinregen prasselte nieder, und ein gellender Schrei zeigte ihr an, daß zumindest einer der Felsbrocken getroffen hatte. Abermals knallten Schüsse, ein schrilles Wutgeheul ertönte, das in dem engen Tale mehrfach widerhallte, und als das blasse, vor Erregung keuchende Mädchen den Arm nochmals aus der Deckung zu heben wagte, streifte eine Kugel ihre Hand und riß über den Handrücken eine blutige flache Furche.
Edda sah sich verloren. Die Terrasse bot keinerlei Möglichkeit zur Fortsetzung der Flucht, und daß die enttäuschten Tuaregs es jetzt auf ihr Leben abgesehen hatten, wurde Edda von Sekunde zu Sekunde eindringlicher vor Augen geführt: Einige der Reiter erstiegen jetzt die gegenüberliegende Felswand, um ihr von dort, sobald sie mit ihr in einer Höhe wären, den Fangschuß zu geben.
Noch nie hatte Edda von Bruck auf einen Menschen gezielt, nie war ihr früher einmal der Gedanke gekommen, es könnte für sie die Stunde schlagen, in der sie in eine Lage geriet, wo sie ihr Leben mit der Waffe verteidigen und töten mußte, um selber dem Tode zu entgehen. Und sie wollte leben – – für Rolf! Gerade in diesen Minuten, wo ihr bisheriges Dasein, insbesondere ihre endlosen, von kleinlichen Sorgen ausgefüllten Jahre in Berlin wie ein unwirkliches Traumbild zerflatterten und nur eines aus dieser Zeit leuchtend und strahlend Bestand hatte,
W. von Neuhof: Rauschgiftpatrouille. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1933, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rauschgiftpatrouille.pdf/179&oldid=- (Version vom 1.8.2018)