Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils zweyte Abtheilung | |
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in eben der Gestalt wieder erscheint, worunter er zu den Zeiten des Verfalls des Römischen Reichs allmählig vor unsern Augen verschwunden war. Die Gründe sind nicht schwer zu errathen. Er war nie ganz untergegangen: weder in den occidentalischen Schulen, noch unter der guten Gesellschaft von Konstantinopel: und der menschliche Geist versuchte fortwährend seine Kräfte gegen den Druck des Aberglaubens und politischer Despotie.
Nachdem auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Vienne im Jahr 1311 verordnet war, daß auf den berühmtesten Universitäten des Abendlandes Lehrstühle der griechischen und arabischen Sprachen angesetzt werden sollten; nachdem die Gelehrten immer mehr anfingen, in ihrer Landessprache zu schreiben; so ward die Bekanntschaft mit den Werken der Alten, mit ihrer Philosophie und ihrem Geschmack immer genauer und ausgebreiteter. Aber die Scholastik, der Mysticismus, die Autorität der Kirche, hemmten den Flug des forschenden Geistes, und zogen ihn größtentheils vom Nachdenken über Angelegenheiten des praktischen, besonders des geselligen Lebens ab. Die Versuche dieser Zeit, über die Sitten zu philosophieren, enthalten spitzfindige Untersuchungen über die Natur und die Bestimmung des menschlichen Willens, wobey man die Lehren der ältern Philosophen, der Araber und der Kirchenväter zu vereinigen suchte; alle bemühen sich, den Menschen von den Dingen dieser Welt zur Vereinigung mit Gott zurückzuführen. Ein unnützer Prunk mit Citaten, Grübeleyen, allegorischen Bildern und Deklamationen zeichnet sie eben so sehr
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils zweyte Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.2.djvu/150&oldid=- (Version vom 1.8.2018)