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Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/415

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benetzte sie ihr Auge mit Thränen. – Heliodor hat mehr den wahren Begriff, als das wahre Gefühl der Liebe gehabt.

Ueberhaupt läßt sich in ästhetischer Rücksicht sehr viel gegen dieß Produkt sagen. Es fehlt sehr viel daran, daß es ein schönes Ganze sey. Kein einziger Charakter ist bestimmt, und mit Individualität gezeichnet. Dieser Vorwurf trifft selbst die beyden Helden der Geschichte. Chariklea geht aus ihrem Charakter heraus, wenn sie nach ihrer Wiedererkennung Anstand nimmt, ihren Eltern ihre Leidenschaft zum Theagenes zu erkennen zu geben, und diesen durch ihr Zaudern in Gefahr des Lebens bringt. Theagenes erscheint oft als ein Träumer, der die Hände ruhig in den Schooß legt, wenn er handeln soll. Calasiris soll eine Art von Ulysses seyn: Hydaspes ein großmüthiger König. Ueberall merkt man, daß die Natur nicht zu Rathe gezogen ist.

Die Begebenheiten sind sehr verwickelt, aber nicht gehörig verkettet, am wenigsten aber aus dem Betragen der handelnden Personen hergeleitet. Das letzte Buch ist das fehlerhafteste von allen, und es ist mir unbegreiflich, wie Huet [1] habe sagen können: die Auflösung sey bewundernswürdig. Die Handlung stockt: der Verfasser häuft einen Vorfall auf den andern, bloß um die Handlung aufzuhalten. Anstatt die Tochter von der Mutter in dem Augenblicke wieder erkennen zu lassen, worin sie von ihr zum Altare geführt worden wäre; muß eine gerichtliche und ermüdende Beweisführung eintreten. Theagenes erscheint dabey wie ein Possenreißer, und Hydaspes wie ein Blödsinniger.


  1. De l’origine des Romans p. 60.