Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
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Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern.
Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/350&oldid=- (Version vom 1.8.2018)