Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
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Alles dieß beweiset freylich nichts für Sittlichkeit, nicht einmahl für wahre Liebe! Aber verglichen mit der gröberen Art, wie die Geschlechtssympathie befriedigt werden kann, liegt allerdings eine Veredlung und Verschönerung dieses letzten Triebes darin. Wie reitzend, ich wiederhole es, sind die Formen, unter denen er sich seine Vereinigung mit der Genossin denkt! Wie reitzend ist die folgende! „Bleib treu in meiner Abwesenheit, bleib treu, und laß die alte Mutter, die Bürgin deiner Unschuld, nicht von deiner Seite weichen. Sie wird beym blassen Schimmer der Lampe die häuslichen Arbeiten tief in die Nacht hineinziehen, und dir die Zeit mit Mährchen vertreiben, bis endlich den ermüdeten Mägden um dich herum schlaftrunken das Werk aus den Händen fällt. Dann werde ich unangemeldet wie ein Himmelsbote erscheinen. Dann wirst du mir, so wie du bist, mit zerstreueten Haaren und nacktem Fuß entgegen stürzen!“ [1]
Doch! es ist Zeit, daß ich nun zeige, daß Tibull sich bis zum Gefühl wahrer Liebe gehoben hat! Er hatte das Unglück, an einem leichtsinnigen Weibe zu hängen. Er war allen Leiden der Zweifel an dessen Treue ausgesetzt; und dennoch war Delia eifersüchtig auf ihn, mit Hinwegsetzung über alle weibliche Zartheit! Er durfte kein anderes Frauenzimmer loben, ohne sich der gewaltsamsten Behandlung ausgesetzt zu sehen. „Nie, sagt er, würde ich mir eine ähnliche gegen dich erlauben. Nein! eher fallen mir die Hände ab, als daß ich mich an dir vergreife!“ [2]
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/322&oldid=- (Version vom 1.8.2018)