Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
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Observanz nennen könnte. Die erste meint es ehrlich bey ihrem Ausdrucke, und setzt wirklich das Wesen und die Vollkommenheit der Liebe in gänzliche Hingebung, dauernde Anhänglichkeit, und ausschließende Treue. Aber die andere hat den Schalk im Herzen und sucht das Glück der Liebe in einem stets abwechselnden sinnlichen Genuß, der durch Befriedigung der Eitelkeit und diejenigen Reitze gehoben wird, welche eine reiche, glänzende Phantasie, und eine fein fühlende und viel auffassende Sinnlichkeit der kosenden Unterhaltung leihen: Vorzüge, die mit einer heftigen Leidenschaft schwerlich vereinbar sind.
Noch einen Zug setze ich hinzu, der die Aehnlichkeit der römischen Behandlung der Intrigue mit der Galanterie des Mittelalters darlegt: den pikanten Reitz, den die Eitelkeit aus dem Verständnisse zog! Der arme aber talentvolle Dichter dem reichen Nebenbuhler vorgezogen! Wie dieser Gedanke die geringste Auszeichnung heben mußte! Und dann der Stolz auf die Schlauheit, mit der man den reichen Hüter hinterging: der Antheil, den das Publikum an dem Gange der Intrigue nahm, den es entweder an öffentlichen Oertern belauschte, oder den ihm der Dichter in seinen Versen vorsang! Mit welcher Empfindung konnte er sagen: Corinna ist mein! oder: Cynthia, du wirst durch mich unsterblich!
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/309&oldid=- (Version vom 1.8.2018)