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Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/301

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Anstand, dergestalt hinauszusetzen, daß es zum Begriffe eines wohlerzogenen Menschen gehörte, alle Gefühle geselliger Ordnung frevelhaft unter die Füße zu treten. Nie wird man behaupten dürfen, daß die Messalinen, die Caligula’s, die Neronen, nach den Begriffen der Mehrheit unter den angesehensten Bürgern Roms, den besten Ton gehabt hätten. Dem größern Haufen die Ueberzeugung von der Lächerlichkeit eines sittlichen und anständigen Betragens, eine konsequente Beurtheilung und Handlungsart nach sittenlosen Grundsätzen zuzutrauen, würde sehr wenig Menschenkenntniß verrathen. Man darf vielmehr dreist behaupten, daß an den verdorbensten Höfen, in den luxuriösesten Städten, die Zirkel, welche den Anstand verachten, immer nur klein im Verhältnisse gegen den Haufen sind, der ihn mit Wohlgefallen betrachtet. [1] Selbst die einzelnen verwahrloseten Menschen, die in ihrer Frechheit so weit gehen, Sittlichkeit, Adel, Schönheit, ja sogar die Schonung der bessern Empfindungen in Andern als Vorurtheile zu verlachen, und sich durch keine andere Gesetze leiten zu lassen, als diejenigen, welche die Rücksicht auf die höchste und abwechselndste Befriedigung ihrer Lüste vorschreiben; selbst diese Menschen, sag’ ich, lassen doch gemeiniglich ihre Angehörigen nach andern Grundsätzen, als die ihrigen sind, erziehen. Besonders bleibt das zärtere Geschlecht gern seiner natürlichen


  1. Der Abbate Galliani sagte mir, wie ich in Neapel war: Wir haben zwölf Weiber hier, Damen vom ersten Range, deren Reitze Jedem zu Gebote stehen. Diese haben dem ganzen Haufen den Ruf der Sittenlosigkeit zugezogen! – So habe ich es allerwärts gefunden.