Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
|
Verhältnissen seines Wohnorts entlehnt, und solche Sitten dargestellt habe, die ihm selbst, seinen Zeitgenossen und Landsleuten eigen waren, oder ob er sich nicht in eine ältere und fremde Weise, die aber im Gebiete der Künste allgemein geltend war, hineingedacht habe?
Der Philosoph fing gleichfalls an, den Bürger vom Menschen zu trennen, und ward dadurch veranlaßt, seine Ideen und Vorschriften über Sittlichkeit von den lokalen Verhältnissen, worunter er und seine Zeitgenossen lebten, unabhängig zu machen.
Aus diesen Gründen werde ich es weit weniger wagen, zu bestimmen, wie es der guten Sitte in Griechenland gemäß war, über Liebe und Geschlechtssympathie zu denken, als vielmehr wie diese oder jene Sekte von Philosophen verlangte, daß man darüber denken sollte, wie dieser oder jener Dichter sie darstellen durfte, um im Reiche der Fiktion seinen Zeitgenossen wahrscheinlich und interessant zu erscheinen.
Inzwischen treffen doch alle griechische Schriftsteller nach dem Untergange der Freyheit und Selbständigkeit der Staaten desjenigen Landes, dem sie
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/233&oldid=- (Version vom 1.8.2018)