Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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Vergnügen leckerhafter zu machen? Nimmermehr! Es ist der höchste Anreitz zur Tugend, die höchste Belohnung für die Aufopferungen, welche diese fordert! Der unnennbare Trieb gehört nicht zur Liebe, eben weil seine Befriedigung diese Liebe zerstört. Er ist zufällige Schwäche, Aufwallung körperlicher Selbstheit, die uns bey sinkender Liebe erst überrascht. Der Liebende hütet sich vor ihr, weil er den Gegenstand seiner Liebe, und diese selbst nicht erniedrigen will, und so lange er wirklich liebt, wird er das Andringen so grober Begierden nicht bemerken. Seelenliebe ist daher das Streben schöner Seelen nach Vereinigung zu höherer Vollkommenheit, ohne alle Mitwirkung körperlicher Triebe. Und wenn der Körper der geliebten Seele auf uns wirkt, so empfinden wir ihn nur mittelst der Seele, welche in der Schönheit der Gestalt das Symbol der Vollkommenheit des Geistes, der ihn beseelt, bey völliger Ruhe der Begierden bewundert! –“
Jede dieser Sekten hat ihre Anhänger in allen Perioden der Geschichte kultivierter Völker gehabt, und hat sie auch noch jetzt. Jede dieser Sekten hat gleichfalls ihre Convertiten. Zwar ist die Zahl derjenigen, deren geistige Ideen über die Seelenliebe gleichsam verkörpert wurden, viel größer als derjenigen, deren materielle Ideen gleichsam verklärt sind; inzwischen giebt es auch Beyspiele der letzten Art. Hindernisse, welche sich der Befriedigung einer Anfangs sinnlichen Liebe widersetzen, zwingen oft unglückliche Liebhaber, in einem schwärmerischen Ideengenusse Trost für Versagung physischer Vereinigung zu suchen, und, einmahl gewöhnt an diese
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)