Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
|
der äußeren Verhältnisse die schönste Neigung des edelsten Wesens in uns nicht schwächen.
Alter und lange Fortdauer haben schon an sich durch ihre genaue Verwandschaft mit unsern Lieblingstrieben nach langem Leben und Unsterblichkeit ein hohes Anrecht darauf, uns in eine unbestimmte, aber wohlgefällige Rührung zu versetzen. Diese Ideen erhalten einen erhöheten Reitz, wenn der Gegenstand, der sie erweckt, an sich vergänglich zu seyn pflegt, und durch sein langes Bestehen Bilder des Seltenen und Ausgezeichneten erweckt. Wie interessieren uns nicht die zerbrechlichen Eyer, und die leicht zu verwischenden Kohlenstriche, die sich zu Pompeji seit Jahrtausenden erhalten haben! Welch einen höheren Anspruch auf Wohlgefälligkeit für den Beschauungshang bekommt aber das Unzerstörbare durch das Gefühl der innern Kraft, welche dabey zum Grunde liegt, der innern Vortrefflichkeit, der äußeren Nutzbarkeit! Dauernde Liebe führt auf die edelsten Neigungen, auf die schönsten Vorzüge des menschlichen Geistes und Herzens zurück. Festigkeit, Muth, Standhaftigkeit, Erhebung über Zeit und Schicksal, werden hier auf mannigfaltige Art bewährt. Dauernde Liebe befördert das häusliche Glück jener Ehen, die zum Anstande, zur Ehrbarkeit der Sitten, so wie zum Wohl des Bürgers so viel beytragen. Sie erleichtert und verlängert endlich die Sorgfalt der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder. Und so erscheint eine Liebe die den Rest unsers Lebens hindurch dauert nicht bloß interessant und schön; sie ist auch schätzbar in Beziehung auf das gemeine Beste!
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/344&oldid=- (Version vom 1.8.2018)