Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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Sorge und Beschäftigung abziehen will, damit sie nur mit ihm über die Verhältnisse seines Geschlechts, oder ihrer zusammengesetzten Person Ideen wechseln, und darauf ihre ganze Aufmerksamkeit wende. Eben so gewöhnlich und vielleicht noch häufiger ist der Fall, wo die Geliebte von dem liebenden Manne verlangt, daß er vergessen soll, was er von seinem Geiste dem Staate und den Wissenschaften schuldig ist, um mit ihr zu kosen, und das Glück des häuslichen und geselligen Zusammenseyns ununterbrochen zu genießen.
Edel Liebende finden in dem Gedanken, daß der Geliebte durch Ausbildung und Anwendung seines Geistes nach der Bestimmung, die ihm sein Geschlecht giebt, sich achtungswürdiger und dadurch glücklicher fühle, eine Schadloshaltung für die Einsamkeit und Trennung von ihm, die jene Bemühung ihnen zuweilen auflegt.
Eben hieraus fließt aber auch die Vorsicht, daß die Liebenden, indem sie wechselseitig ihren Geist auszubilden suchen, ihm nicht solche Vorzüge beyzulegen streben, die für sein Individuum gar keine Vorzüge sind. Der Gelehrte, der seine Frau in abstrakte Wissenschaften, der Staatsmann, der seine Gattin in politische Intriguen zu verwickeln sucht, und umgekehrt, die Gattin, die von ihrem Manne verlangt, daß er in das Detail der häuslichen Wirthschaft, oder der geselligen Fürsorge hineingehen soll; alle diese handeln der wahren Bestimmung der Liebe entgegen, die den andern in Gemäßheit seiner Selbständigkeit zu beglücken sucht.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/325&oldid=- (Version vom 1.8.2018)