Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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früheren Zeiten ihren Ruf verloren hat. Seht, eine solche Verbindung ist wie ein schönes Kunstwerk, das nicht zu dem Orte und dem Lichte seiner Aufstellung paßt, und daher unvortheilhaft und falsch erscheinen muß.
Es ist barer Egoismus unsers Geschlechts, der dem weiblichen keine andere Energie gönnt, als diejenige, die ihm die Stärke der Leidenschaft einflößt: es ist herrischer Uebermuth in dem Manne, der verlangt, das Weib solle keinen Charakter haben, als denjenigen, den ihm der Geliebte eingiebt.
Liebe verlangt Energie und selbständigen Charakter von beyden Seiten. Es müssen zwey Wesen seyn, von denen jedes seinem Geschlechte nach vollständig und vortrefflich ist, und die in der zusammengesetzten Person ein vollkommenes Individuum der Gattung, Mensch, erscheinen lassen.
Weiber und Männer, die ihr auf diese meine Worte hört, betrügt euch nicht mit dem Gedanken, daß gänzliche Hingebung in die Denkungsart des Geliebten die Liebe erwecken oder dauerhaft mache! Sie schmeichelt dem Eigennutze, aber nur auf kurze Zeit; bald wird die Gleichförmigkeit der Gesinnungen Langeweile und Ueberdruß erwecke. Ich kenne Ehen, in denen das Weib keine Meynung, keinen Willen für sich hat, und wenn es diese vorübergehend faßt, sie bald fahren läßt,
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/184&oldid=- (Version vom 1.8.2018)