Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil | |
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des Lebens gerathen, weil wir diese an dem andern wahrnehmen.
Mitleiden, für Mitempfindung eines fremden Bedürfnisses genommen, ist daher nie Liebe: und selbst die Mitempfindung der Stillung eines fremdem Bedürfnisses, die nur zugleich das Bedürfniß unserer Sympathie stillt, ist nicht Liebe.
Unter unsern Trieben giebt es einige, die uns zur Annäherung an die Gegenstände, mit denen wir ins Verhältniß kommen, auffordern: andere, welche uns reitzen, diese Gegenstände abzustoßen. Aber selbst unter den annähernden giebt es einige, die uns nur darum mit den Gegenständen in nähere Verbindung bringen, um sie zu zerstören, oder wenigstens herabzuwürdigen.
Liebe ist Wonne der Geselligkeit, mithin Wonne eines Hanges nach Annäherung an die Gegenstände, mit denen wir ins Verhältniß kommen. Sie setzt außerdem Erhaltung dieser Gegenstände als nothwendige Bedingung zum Voraus. Alle Ungeselligkeit, alles Zurückziehen, alles eigennützige Besitznehmen mit Vernachlässigung der Selbstständigkeit des fremden Wesens, noch mehr aber alles Uebelwollen, ist der Liebe in dieser Bedeutung entgegengesetzt. Dahin gehört Rachgier, Neid, Eifersucht, Schadenfreude, Unwille, Zorn; es gehört aber auch
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_1.djvu/285&oldid=- (Version vom 1.8.2018)