Damit wir nicht vorzeitig verzweifeln! Der Alkohol lässt uns Zeit – – – zum Entschluss des Selbstmords! Der Gulden, den wir mehr ausgeben als wir sollten, die Frau, die wir als Ungeliebte, Unverehrte dennoch in unsere Arme nehmen, die Stunde, die wir dem notwendigen Schlafe rauben, die Nahrung, die wir überflüssigerweise geniessen, alles, alles, was nicht das heilige Notwendige im Haushalt des natürlichen Organismus repräsentiert, es muss durch Alkohol in unseren reuevollen Gedächtnissen ausgetilgt werden! Die Melancholie über seine Sünden, seine Unwissenheiten, seine Schwachheiten muss hinweggeschwemmt werden durch Bier und Wein und Schnaps! Bei irgend einem Glase Bier wird einem die ohne Liebe genossene Frau, der überflüssig ausgegebene Gulden und das ganze Martyrium des Daseins gleichgiltig! Bier besiegt jede unglückliche Stimmung, schwemmt sie dahin. Der Zins steht vor der Türe oder die Schneider-Rechnung. Aber beim vierten Krügel Löwenbräu sage ich dem Hausherrn die grässlichsten Dinge ins Gesicht, innerlich natürlich, schmeisse ich den Schneider die fünf Treppen hinab, innerlich. Und selbst die Geliebte erhält einen Tritt, innerlich. Bier besiegt jede unglückliche Liebe.
Alkohol füllt die schreckliche Kluft aus zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir sein möchten, sein sollten! Werden müssten! Als der Affe erkannte, dass er ein Mensch werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz
Peter Altenberg: Pròdromos. Berlin 1906, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prodromos_(Altenberg).djvu/119&oldid=- (Version vom 1.8.2018)