Soweit wäre die Existenz der Materie noch nicht allzusehr gefährdet; wir können uns noch immer für die erste Hypothese entscheiden, wir können sogar annehmen, daß es außer den positiven und negativen Elektronen noch neutrale Atome gibt. Die neueren Untersuchungen von Lorentz berauben uns indessen auch dieser letzten Zuflucht. Wir werden von der Erde in ihrer äußerst schnellen Bewegung mitgeführt; sollten die optischen und elektrischen Erscheinungen durch diese Fortbewegung garnicht beeinflußt werden? Lange hat man an einen solchen Einfluß geglaubt, man nahm an, daß es gelingen würde, je nach der Orientierung der Apparate im Verhältnis zur Erdbewegung Unterschiede in den Beobachtungen festzustellen. Diese Erwartung war vergeblich, selbst die sorgfältigsten Messungen haben niemals etwas derartiges gezeigt. Gerade dadurch rechtfertigten die Versuche eine allen Physikern gemeinsame Überzeugung; hätte man nämlich irgend einen Einfluß feststellen können, so wäre man imstande gewesen, nicht nur die relative Bewegung der Erde um die Sonne, sondern sogar ihre absolute Bewegung im Äther zu bestimmen. Den meisten Forschern wird es schwer zu glauben, daß man jemals etwas anderes als eine relative Bewegung experimentell feststellen kann; viel lieber bekennen sie sich zu der Folgerung, daß die Materie keine Masse hat.
Über die negativen Resultate war man daher nicht allzusehr erstaunt; sie widersprachen zwar den herrschenden Theorien, aber sie genügten einem gewissen tieferen Instinkte, der älter und mächtiger ist als alle Theorien. Es blieb nichts anderes übrig als die Theorien so abzuändern, daß sie sich wieder mit den Tatsachen in Übereinstimmung bringen ließ. Zu dem Zwecke hat Fitzgerald eine überraschende Hypothese gemacht: nach ihm sollen alle Körper in Richtung der
Henri Poincaré: Das Ende der Materie. Teubner, Leipzig 1914, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Poincar%C3%A9Ende.djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)