geht in die Mannigfaltigkeit und Fülle der Formen des geistigen Lebens auf – aber eines solchen Lebens, dem selbst das Gepräge der inneren Notwendigkeit und damit das Gepräge der Objektivität aufgedrückt ist. In diesem Sinne bedeutet jede neue „symbolische Form“, bedeutet nicht nur die Begriffswelt der Erkenntnis, sondern auch die anschauliche Welt der Kunst, wie die des Mythos oder der Sprache nach dem Wort Goethes eine von dem Inneren an das Äußere ergehende Offenbarung, eine „Synthese von Welt und Geist“, die uns der ursprünglichen Einheit beider erst wahrhaft versichert. –
Und damit fällt zugleich neues Licht auf einen letzten fundamentalen Gegensatz, mit dem die moderne Philosophie seit ihren ersten Anfängen immer wieder gerungen und den sie immer schärfer durchgebildet hat. Die „subjektive“ Wendung, die sich in ihr vollzog, führte sie mehr und mehr dazu, die Gesamtheit ihrer Probleme statt in der Einheit des Seinsbegriffs im Begriff des Lebens zu zentrieren. Aber wenn damit der Gegensatz der Subjektivität und Objektivität in der Form, in der er in der dogmatischen Ontologie auftrat, beschwichtigt und seine endgültige Versöhnung angebahnt schien – so trat jetzt, im Umkreis des Lebens selbst, ein um so radikalerer Gegensatz hervor. Die Wahrheit des Lebens scheint nirgends anders als in seiner reinen Unmittelbarkeit gegeben und in ihr beschlossen zu sein – alles Begreifen und Erfassen des Lebens aber scheint eben diese Unmittelbarkeit zu bedrohen und aufzuheben. Geht man vom dogmatischen Seinsbegriff aus, so tritt freilich auch hier der Dualismus von Sein und Denken, je weiter die Betrachtung fortschreitet, um so deutlicher hervor – aber es scheint nichtsdestoweniger die Möglichkeit und die Hoffnung zurückzubleiben, daß in dem Bilde, welches die Erkenntnis vom Sein entwirft, wenigstens ein Rest der Wahrheit des Seins aufbehalten ist. Es scheint, als ginge das Sein zwar nicht vollständig und adäquat, aber doch mit einem Teil seiner selbst in dieses Bild der Erkenntnis ein – als greife es mit seiner eigenen Substanz in die des Erkennens über, um in ihr eine mehr oder minder getreue Spiegelung von sich selbst zu erzeugen. Die reine Unmittelbarkeit des Lebens aber läßt keine derartige Teilung und Zerfällung zu. Sie kann, wie es scheint, nur ganz oder gar nicht geschaut werden: sie tritt in die mittelbaren Darstellungen, die wir von ihr versuchen, nicht ein, sondern bleibt als ein prinzipiell Anderes, ihnen Entgegengesetztes außerhalb ihrer stehen. Nicht in irgendeiner Form der Repräsentation, sondern nur in der reinen Intuition läßt sich der ursprüngliche Gehalt des Lebens erfassen. Alle Auffassung des Geistigen hat daher, wie es scheint, zwischen
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/64&oldid=- (Version vom 20.8.2021)