des Gesichts- und des Tastsinns, als Repräsentanten und Zeichen für einander gebrauchen lernen, entstehe für uns die Welt des Raumes als eine Welt miteinander systematisch verknüpfter und aufeinander bezogener Perzeptionen. Berkeley hat hierbei, seiner sensualistischen Grundvoraussetzung gemäß, versucht, die Sprache des Geistes, die er als eine Bedingung der räumlichen Anschauung nachweist, ausschließlich als eine Sprache der Sinne zu verstehen. Aber dieser Versuch hebt, näher betrachtet, sich selbst auf. Denn es liegt schon im Begriff der Sprache selbst, daß sie niemals bloß sinnlich sein kann, sondern eine eigentümliche Durchdringung und Wechselwirkung sinnlicher und begrifflicher Faktoren darstellt, sofern in ihr stets die Erfüllung der individuellen sinnlichen Zeichen mit einem allgemeinen gedanklichen Bedeutungsgehalt vorausgesetzt wird. Das gleiche gilt auch für jede andere Art der „Repräsentation“ – der Darstellung eines Bewußtseinselementes in einem anderen und durch ein anderes. Denken wir uns die sinnliche Grundlage für den Aufbau der Raumvorstellung in bestimmten Gesichts-, Bewegungs- und Tastempfindungen gegeben, so enthält doch eben die Summe dieser Empfindungen nichts von jener charakteristischen Einheitsform, die wir „Raum“ nennen. Diese äußert sich vielmehr erst in einer derartigen Zuordnung, daß dadurch von jeder einzelnen dieser Qualitäten zu ihrer Gesamtheit übergegangen werden kann. Wir denken auf diese Weise in jedem Element, sofern wir es als räumliches setzen, schon eine Unendlichkeit möglicher Richtungen gesetzt und der Inbegriff dieser Richtungen macht erst das Ganze der räumlichen Anschauung aus. Das räumliche „Bild“, das wir von einem einzelnen empirischen Gegenstand, etwa von einem Hause, besitzen, kommt nur dadurch zustande, daß wir eine einzelne relativ begrenzte perspektivische Ansicht in diesem Sinne erweitern; daß wir sie nur als Ausgangspunkt und Anregung benutzen, um von ihr aus ein sehr komplexes Ganze räumlicher Relationen aufzubauen. In diesem Sinne verstanden ist der Raum nichts weniger als ein ruhendes Gefäß und Behältnis, in das die „Dinge“, als gleichfalls fertige, eingehen, er stellt vielmehr einen Inbegriff ideeller Funktionen dar, die sich gegenseitig zur Einheit eines Ergebnisses ergänzen und bestimmen. Wie wir im einfachen „Jetzt“ der Zeit zugleich das Früher und Später, also die Grundrichtungen des zeitlichen Fortgangs ausgedrückt fanden, so setzen wir in jedem „Hier“ schon ein „Da“ und ein „Dort“. Die einzelne Stelle ist nicht vor dem Stellensystem, sondern nur im Hinblick auf dasselbe und in korrelativer Beziehung zu ihm gegeben.
Eine dritte Form der Einheit, die sich über der räumlichen und zeitlichen
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/51&oldid=- (Version vom 20.8.2021)