verschiedenen spekulativen Ansichten, die über den „Ursprung der Sprache“ geäußert worden sind, bewegen sich in der Tat zwischen diesen beiden Extremen, deren keines jedoch den Kern und das geistige Wesen der Sprache selbst trifft. Denn durch sie wird weder ein einseitig Subjektives, noch ein einseitig Objektives bezeichnet und zum Ausdruck gebracht, sondern es tritt in ihr eine neue Vermittlung, eine eigentümliche Wechselbestimmung zwischen beiden Faktoren ein. Weder die bloße Entladung des Affekts, noch die Wiederholung objektiver lautlicher Reize stellt demgemäß schon den charakteristischen Sinn und die charakteristische Form der Sprache dar: diese entsteht vielmehr erst dort, wo beide Enden sich in eins verknüpfen und dadurch eine neue vorher nicht gegebene Synthese von „Ich“ und „Welt“ geschaffen wird. Und eine analoge Beziehung stellt sich weiterhin in jeder wahrhaft selbständigen und ursprünglichen Richtung des Bewußtseins her. Auch die Kunst kann so wenig als der bloße Ausdruck des Inneren, wie als die Wiedergabe der Gestalten einer äußeren Wirklichkeit bestimmt und begriffen werden, sondern auch in ihr liegt das entscheidende und auszeichnende Moment in der Art, wie durch sie das „Subjektive“ und das „Objektive“, wie das reine Gefühl und die reine Gestalt ineinander aufgehen und eben in diesem Aufgehen einen neuen Bestand und Inhalt gewinnen. Noch schärfer, als es in der Beschränkung auf die rein intellektuelle Funktion möglich ist, tritt in all diesen Beispielen hervor, daß wir in der Analyse der geistigen Formen nicht mit einer feststehenden dogmatischen Abgrenzung des Subjektiven gegen das Objektive beginnen können, sondern daß ihre Begrenzung und die Feststellung ihres Bereichs erst durch diese Formen selbst vollzogen wird. Jede besondere geistige Energie trägt in besonderer Weise zu dieser Feststellung bei und wirkt demgemäß an der Konstituierung des Ichbegriffs, wie des Weltbegriffs mit. Die Erkenntnis wie die Sprache, der Mythos und die Kunst: sie alle verhalten sich nicht wie ein bloßer Spiegel, der die Bilder eines Gegebenen des äußeren oder des inneren Seins, so wie sie sich in ihm erzeugen, einfach zurückwirft, sondern sie sind statt solcher indifferenter Medien vielmehr die eigentlichen Lichtquellen, die Bedingungen des Sehens wie die Ursprünge aller Gestaltung.
Das erste Problem, das uns in der Analyse der Sprache, der Kunst, des Mythos entgegentritt, besteht in der Frage, wie überhaupt ein bestimmter sinnlicher Einzelinhalt zum Träger einer allgemeinen geistigen „Bedeutung“ gemacht werden kann. Begnügt man sich damit, alle diese Gebiete
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/42&oldid=- (Version vom 15.9.2022)