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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/304

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und allgemeiner Ausdruck dessen, was in unserm „Verhältniswörtchen ist“ bezeichnet wird, fehlt nicht nur den Sprachen der Naturvölker – wie den meisten Negersprachen, den Sprachen der amerikanischen Eingeborenen u. s. f. – sondern er ist auch in anderen hochentwickelten Sprachen nicht zu finden. Selbst dort, wo eine Unterscheidung des prädikativen Verhältnisses vom rein attributiven vorhanden ist, braucht das erstere keine besondere sprachliche Auszeichnung zu erfahren. So wird z. B. im ural-altaischen Kreis die Verbindung des Subjektsausdrucks mit dem Prädikatsausdruck fast durchweg durch einfache Nebeneinanderfügung beider vollzogen, so daß ein Ausdruck wie ‚die Stadt groß‘, „die Stadt ist groß“, ein Ausdruck wie ‚ich Mann‘ „ich bin ein Mann“ besagt u. s. f.[1]. In andern Sprachen begegnen zwar vielfach Wendungen, die auf den ersten Blick ganz dem Gebrauch unserer Kopula zu entsprechen scheinen, die aber in Wahrheit hinter der Allgemeinheit ihrer Funktion weit zurückbleiben. Das „Ist“ der Kopula hat hier, wie sich bei näherer Analyse ergibt, nicht den Sinn eines universellen, der Verknüpfung schlechthin dienenden Ausdrucks, sondern es haftet ihm eine besondere und konkrete, meist eine örtliche oder zeitliche Nebenbedeutung an. Statt des rein beziehentlichen Seins findet sich ein Ausdruck, der die Existenz an diesem oder jenem Ort ein Da- oder Dort-sein oder auch die Existenz in diesem oder jenem Moment bezeichnet. Demgemäß tritt hier eine Differenzierung im Gebrauch der scheinbaren Kopula je nach der verschiedenen räumlichen Lage des Subjekts oder nach sonstigen anschaulichen Modifikationen, mit denen es gegeben ist, ein – so daß also eine andere „Kopula“ verwendet wird, wenn das Subjekt, von dem die Rede ist, steht, als wenn es sitzt oder liegt, eine andere, wenn es wacht, als wenn es schläft u. s. f.[2]. An die Stelle des formalen Seins und des formalen


  1. [1] Vgl. H. Winkler, Der uralaltaische Sprachstamm, S. 68 f.; für die finnisch-ugrischen Sprachen s. z. B. Simonyi, Die ungar. Sprache, S. 403 f.
  2. [2] Beispiele hierfür finden sich insbesondere in den amerikanischen Sprachen: so fehlt z. B. den Algonkinsprachen ein allgemeines Verbum des „Seins“, während sie eine große Zahl von Worten besitzen, die das Sein an diesem oder jenem Ort, zu dieser oder jener Zeit oder unter dieser oder jener besonderen Bedingung bezeichnen. In der Klamath-Sprache ist das Verbum (gi), das als Ausdruck des kopulativen Seins verwendet wird, in Wahrheit eine demonstrative Partikel, die ein Da- oder Dort-sein ausdrückt. (Näheres bei Gatschet, Klamath language, S. 430 ff., 674 f. und bei Trumbull, Transactions of the Americ. Philol.-Assoc. 1869/70). Auch die Indianersprachen der Maya-Familie verwenden in der prädikativen Aussage bestimmte Demonstrativpartikel, die z. B. mit Tempuszeichen verbunden werden können und dann ganz den Anschein eines echten Verbum substantivum gewinnen. Doch entspricht keine dieser Partikel dem allgemeinen und rein beziehentlichen Ausdruck des Seins: vielmehr fallen die einen unter den Nominalbegriff: [289] „gegeben, gesetzt, vorhanden“, während andere die Lage an einem bestimmten Ort oder das Geschehen zu einer bestimmten Zeit andeuten. (Vgl. Seler, Das Konjugationssystem der Maya-Sprachen, S. 8 und 14.) Eine analoge Besonderung findet sich in den melanesischen Sprachen und in vielen afrikanischen Sprachen. „Ein eigentliches Verbum substantivum – so sagt z. B. H. C. v. d. Gabelentz – fehlt im Fidschi; zuweilen kann es durch yaco geschehen, werden, tu da sein, vorhanden sein, tiko da sein, dauern usw. gegeben werden, doch immer mit einer dem eigentlichen Begriff dieser Verba entsprechenden Nebenbedeutung.“ (Die melanes. Sprachen, S. 40; vgl. bes. S. 106.) Für die afrik. Sprachen vgl. z. B. die verschiedenen Ausdrücke für das Verbum substantivum die Migeod (Mende Language, S. 75 ff.) aus den Mande-Negersprachen und die Westermann (Ewegrammat., S. 75) aus dem Ewe anführt.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/304&oldid=- (Version vom 22.3.2023)