zum Wort und die Integration zum Satz bilden korrelative Methoden, die sich zu einer einzigen streng einheitlichen Leistung zusammenschließen. Humboldt und die ältere Sprachphilosophie haben in diesem Sachverhalt den Beweis dafür gesehen, daß die echten Flexionssprachen den Gipfel der Sprachbildung überhaupt darstellen und daß sich in ihnen, und nur in ihnen, die „rein gesetzmäßige Form“ der Sprache in idealer Vollkommenheit auspräge. Aber auch wenn man sich gegen die Aufstellung derartiger absoluter Wertmaßstäbe zurückhaltender und skeptischer verhält, so ist doch unverkennbar, daß für die Ausbildung des rein beziehentlichen Denkens in den Flexionssprachen in der Tat ein außerordentlich wichtiges und wirksames Organ geschaffen ist. Je mehr dieses Denken fortschreitet, um so bestimmter muß es auch die Gliederung der Rede nach sich gestalten, – wie andererseits eben diese Gliederung selbst wieder auf die Form des Denkens entscheidend zurückwirkt. –
Und der gleiche Fortschritt zur immer schärferen Gliederung, der gleiche Fortgang von der Einheit eines bloßen Aggregats zur Einheit einer systematischen „Form“ zeigt sich, wenn man statt des Verhältnisses des Wortes zum Satz die sprachliche Verknüpfung der Einzelsätze selbst ins Auge faßt. In den ersten Etappen der Sprachbildung, zu denen wir psychologisch zurückgehen können, bildet die einfache Parataxe die Grundregel für den Bau des Satzes. Die Kindersprache zeigt sich durchgehend von diesem Prinzip beherrscht[1]. Ein Satzglied reiht sich an das andere in bloßer Nebenordnung, und auch wo mehrere Sätze zusammentreten, weisen sie nur eine lockere, meist asyndetische Verbindung auf. Die einzelnen Sätze können, wie an einer Schnur aufgereiht, einander folgen, aber sie sind noch nicht innerlich miteinander verkettet und ineinander „gefügt“, sofern zunächst keinerlei sprachliches Mittel besteht, um ihre Über- und Unterordnung in scharfer Differenzierung zu bezeichnen. Wenn daher die griechischen Grammatiker und Rhetoren das Kennzeichen des Stils der Rede in der Entwicklung der Periode sahen, in welcher die Sätze nicht in unbestimmter Folge nacheinander hinlaufen, sondern in der sie sich gleich Steinen eines Gewölbes gegenseitig tragen und stützen[2], so ist dieser
beide keineswegs so äußerlich aneinanderkleben, wie vielfach angenommen worden sei. Auch hier finde vielmehr eine stetige Entwicklung zur „Formbildung“ statt, die sich in verschiedenen Sprachen, z. B. im Mongolischen, im Türkisch-Tatarischen und im Finnischen in ganz verschiedenen Phasen darstelle. (Die Sprache der Jakuten, Einl., S. XXIV; vgl. bes. Heinr. Winkler, Das Uralaltaische[WS 2] und seine Gruppen, S. 44 ff., über die „Morphologie“ der ural-altaischen Sprachen.)
Anmerkungen (Wikisource)
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/298&oldid=- (Version vom 20.3.2023)