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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/285

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nur zum kleinen Teil gefolgt. Schon im Kreise der indogermanischen Sprachwissenschaft trat der ästhetischen Theorie Grimms die nüchternere Theorie Brugmanns entgegen, die die Ausdehnung des Geschlechtsunterschiedes über die Gesamtheit der Nomina nicht in irgendeiner allgemeinen Wesensrichtung der Sprachphantasie, sondern in bestimmten formellen und in gewissem Sinne zufälligen Analogien begründet sein läßt. Statt von einer Anschauung der Belebung und Beseelung der Dinge, sei die Sprache in der Ausbildung und Fixierung dieses Unterschieds vielmehr durch an sich bedeutungslose Ähnlichkeiten der Lautform geleitet worden: – so habe z. B. der Umstand, daß gewisse „natürliche Feminina“, gewisse Bezeichnungen für weibliche Wesen, auf die Endung -a (-η) ausgingen, dahin geführt, daß allmählich auf rein assoziativem Wege alle mit dieser Endung versehenen Worte derselben Klasse der „Feminina“ zugewiesen wurden[1]. Auch vermittelnde Theorien, die die Ausbildung des grammatischen Geschlechts teils auf anschaulich-inhaltliche, teils auf formale Motive zurückzuführen und die Wirksamkeit beider gegeneinander abzugrenzen versuchten, sind vielfach versucht worden[2]. In seiner ganzen Bedeutung und Weite konnte freilich das Problem, das hier zugrunde liegt, erst erfaßt werden, seit sich durch Ausdehnung der Sprachforschung über den indogermanischen und semitischen Kreis mehr und mehr zeigte, daß der Geschlechtsunterschied, wie er im Indogermanischen und Semitischen besteht, nur ein Sonderfall und vielleicht ein Überrest weit reicherer und weit schärfer durchgebildeter Klasseneinteilungen ist. Geht man von solchen Einteilungen, wie sie insbesondere die Bantusprachen darbieten, aus, so ergibt sich unzweifelhaft, daß die Unterscheidung des Geschlechts im Sinne des „Sexus“ im Ganzen der Mittel, deren sich die Sprache zur Ausprägung „generischer“ Unterscheidungen überhaupt bedient, nur einen relativ geringen Raum einnimmt, – daß hierin also nur eine einzelne Richtung der Sprachphantasie, nicht aber deren allgemeines und durchgehendes Prinzip erfaßt werden kann. In der Tat kennt eine große Reihe von Sprachen die Trennung der Nomina nach dem natürlichen Geschlecht oder nach irgendeiner Analogie desselben überhaupt nicht. Das männliche und weibliche Geschlecht wird hier an unbelebten Wesen überhaupt nicht unterschieden, während es an Tieren entweder durch besondere Worte ausgedrückt oder derart


  1. [1] S. Brugmann, Das grammatische Geschlecht in den indogermanischen Sprachen, Techmers Zeitschr. für allgem. Sprachwissensch. IV, 100 ff.; vgl. auch Kurze vgl. Grammat., S. 361 ff.
  2. [2] Vgl. z. B. Wilmans, Deutsche Grammatik, III, 725 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/285&oldid=- (Version vom 18.3.2023)