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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/253

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der selbst das Nichtsein noch gleichsam substantiell gefaßt wird. Die Verneinung einer Handlung lautet derart, daß vielmehr das Nicht-Sein derselben positiv festgestellt wird: es gibt nicht in unserem Sinne ein „nicht Kommen“, sondern nur ein Nichtsein, Nichtvorhandensein des Kommens. Dabei ist der Ausdruck dieses Nichtseins selbst so gefügt, daß er eigentlich „das Sein des Nicht“ besagt. Und wie hier die Relation der Verneinung sich in einen substantiellen Ausdruck wandelt, so gilt das gleiche für die anderen Beziehungsausdrücke. Im Jakutischen wird das Besitzverhältnis derart wiedergegeben, daß von dem besessenen Gegenstand die Existenz oder Nicht-Existenz ausgesagt wird: eine Wendung wie „mein Haus vorhanden“ oder „mein Haus nicht vorhanden“, drückt aus, daß ich ein Haus besitze oder nicht besitze[1]. Auch die Zahlausdrücke sind vielfach so gestaltet, daß die Zahlbestimmung gleich einem selbständigen gegenständlichen Sein erscheint – daß also statt viele oder alle Menschen ‚Mensch der Vielheit‘ oder der Allheit, statt fünf Menschen eigentlich Mensch der Fünfheit, der 5 Stück, der Fünferleiheit u. s. f. gesagt wird[2]. Die modalen oder temporalen Bestimmungen des Verbalnomens werden in der gleichen Weise zum Ausdruck gebracht. Ein substantivischer Ausdruck, wie das Bevorstehen, bezeichnet, indem er attributiv mit dem Verbalnomen verknüpft wird, daß die in ihm bezeichnete Handlung als zukünftig betrachtet wird, das Verbum also im futurischen Sinne zu nehmen ist[3] – ein substantivischer Ausdruck wie Verlangen dient dazu, die sogen. Desiderativform des Verbs zu bilden u. s. f. Auch sonstige modale Nuancen, wie die des Konditionalen, des Konzessiven werden nach dem gleichen Prinzip bezeichnet[4]. Es sind lauter einzelne Seinsbestimmungen, es sind selbständige gegenständliche


    lautet so, daß er besagt „des Tages Dunkelgeworden-sein (ist)“. Vgl. Hoffmann, Japan. Sprachlehre, S. 66 f.

  1. [1] S. Winkler, a. a. O., S. 199 ff.; Boethlingk, Sprache der Jakuten, S. 348.
  2. [2] Winkler, a. a. O., S. 152, 157 ff.
  3. [3] S. im Jakutischen (Boethlingk, S. 299 f.): mein bevorstehendes Schneiden = der meinem künftigen Schneiden unterliegende Gegenstand, aber auch = „ich werde schneiden“ u. s. f. Vgl. die Tempusbestimmung beim japanischen Verbum, wo die Formen, die zum Ausdruck der Zukunft oder Vergangenheit, der Vollendung oder Dauer dienen, sämtlich Verbindungen eines abhängigen Verbalnomens, das den Inhalt der Handlung bezeichnet, mit einem zweiten regierenden Verbalnomen sind, das die zeitliche Eigenart derselben kennzeichnet. Also Sehens – Streben, Wollen, Werden (für Sehenwerden); Sehens – Fortgehen (für Gesehen haben) usw. Vgl. H. Winkler, a. a. O., S. 176 ff. und Hoffmann, Japan. Sprachlehre, S. 214, 227.
  4. [4] Näheres bei Winkler, a. a. O., S. 125 ff., 208 ff., und Uralaltaische Völker u. Sprachen, bes. S. 90 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/253&oldid=- (Version vom 19.1.2023)