mit Kant zu reden, lediglich dasjenige, „worauf in bezug Vorstellungen synthetische Einheit haben“. In diesem Sinne ist die Vorstellung Ich „die ärmste unter allen“, weil sie alles konkreten Gehalts entleert scheint – aber in dieser Leere an Gehalt schließt sie freilich zugleich eine ganz neue Funktion und eine ganz neue Bedeutung in sich. Für diese Bedeutung besitzt freilich die Sprache keinen adäquaten Ausdruck mehr; denn sie bleibt auch in ihrer höchsten Geistigkeit auf die Sphäre der sinnlichen Anschauung bezogen und kann daher jene „reine intellektuelle Vorstellung“ des Ich, jenes Ich der „transzendentalen Apperzeption“ nicht mehr erreichen. Aber nichtsdestoweniger vermag sie ihr wenigstens mittelbar den Boden zu bereiten, indem sie den Gegensatz des dinglich-objektiven und des subjektiv-persönlichen Seins in ihrem Fortgang immer feiner und schärfer ausprägt und das Verhältnis beider auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln bestimmt.
Der Streit, ob die Urworte, von denen die Sprache ihren Ausgang nahm, verbale oder nominale Natur besaßen, ob sie Dingbezeichnungen oder Tätigkeitsbezeichnungen gewesen seien, hat die Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie lange Zeit lebhaft bewegt. Schroff und unvermittelt standen sich hier die Meinungen gegenüber – und für jede der beiden Alternativen wurden nicht nur sprachgeschichtliche, sondern allgemein-spekulative Gründe ins Feld geführt. Es schien freilich eine Zeitlang, als sei dieser Streit verstummt, seitdem der Begriff, um den er sich bewegte, selbst problematisch geworden war. Die moderne Sprachwissenschaft hat den Versuch, in die Urzeit zurückzudringen und hier das Geheimnis der Sprachschöpfung unmittelbar zu belauschen, mehr und mehr aufgegeben. Für sie war der Begriff der „Sprachwurzel“ nicht mehr der Begriff von einer realen geschichtlichen Existenz, sondern sie sah in ihm – wie es übrigens schon Humboldt mit seiner gewohnten kritischen Vorsicht getan hatte – nur das Ergebnis der grammatischen Analyse. So verblaßten die angeblichen „Urformen“ der Sprache zu bloßen Gedankenformen, zu Gebilden der Abstraktion. So lange man an eine eigentliche „Wurzelperiode“ der Sprache glaubte, konnte man den Versuch wagen, die Gesamtheit der sprachlichen Bildungen auf eine „beschränkte Anzahl von Matrizen oder Typen“ zurückzuführen – und indem man diese Ansicht mit der Anschauung verband, daß alles Sprechen seinen Ursprung in gemeinschaftlich-verrichteten menschlichen Tätigkeiten habe, ging man weiterhin dazu über, in der sprachlichen Grundgestalt
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/244&oldid=- (Version vom 8.1.2023)