auf ihr eigentliches Zentrum zurückgewiesen. Und immer bestimmter wendet sich nun alle Arbeit der gedanklichen Begründung diesem Mittelpunkt zu. In der Mathematik des 19. Jahrhunderts tritt immer allgemeiner das Bestreben heraus, zu einer logisch-autonomen Gestaltung des Zahlbegriffs durchzudringen. Auf verschiedenen Wegen wird dieses Ziel von Dedekind und Russell, von Frege und Hilbert verfolgt. Russell versucht alle Grundmomente, auf denen die Zahl beruht, auf rein „logische Konstanten“ zurückzuführen; Frege sieht in ihr eine „Eigenschaft“, aber eine solche, die, wie sie selbst unsinnlich ist, auch einem unsinnlichen Inhalt anhaftet, die nicht sowohl Eigenschaft eines „Dinges“, als vielmehr Eigenschaft eines reinen Begriffes ist. Mit gleicher Schärfe und Bestimmtheit wird von Dedekind in der Grundlegung und Ableitung des Zahlbegriffs jede Anknüpfung an anschauliche Verhältnisse, jede Einmischung meßbarer Größen verworfen. Nicht auf die Anschauung von Raum und Zeit soll das Zahlenreich aufgebaut werden, sondern umgekehrt soll der Zahlbegriff als ein „unmittelbarer Ausfluß der reinen Denkgesetze“ uns erst in den Stand setzen, wahrhaft scharfe und genaue Begriffe vom Räumlichen und Zeitlichen zu gewinnen. Indem der Geist sich ohne jede Vorstellung von meßbaren Größen durch ein endliches System einfacher Denkschritte zur Schöpfung des reinen stetigen Zahlenreiches aufschwingt, wird es ihm mit diesem Hilfsmittel erst möglich, die Vorstellung vom stetigen Raume zu einer deutlichen auszubilden[1]. Die kritische Logik zieht aus all diesen in der exakten Wissenschaft selbst wurzelnden Bestrebungen nur die Summe, indem sie davon ausgeht, daß die erste Vorbedingung für das Verständnis der Zahl in der Einsicht bestehe, daß man es bei ihr nicht mit irgend gegebenen Dingen zu tun habe, sondern mit reinen Gesetzmäßigkeiten des Denkens. „Die Zahl von den Dingen abzuleiten“ – so betont sie – „ist, wenn unter Ableiten Begründen verstanden wird, ein offenbarer Zirkel. Denn die Begriffe von Dingen sind komplexe Begriffe, in die als einer der unerläßlichsten Bestandteile die Zahl miteingeht … Es kann ja für das Denken nichts geben, das ursprünglicher wäre, als es selbst, das Denken, das heißt: das Setzen von Beziehung. Was man auch sonst als Grund der Zahl in Anspruch nehmen möchte, würde eben dies, das Beziehungsetzen, einschließen und kann als Grund der Zahl nur darum erscheinen, weil es den wahren Grund, das Beziehungsetzen, als Voraussetzung enthält[2].“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: wollen
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/197&oldid=- (Version vom 28.10.2022)