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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/162

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KAPITEL III
DIE SPRACHE IN DER PHASE DES ANSCHAULICHEN AUSDRUCKS
I. Der Ausdruck des Raumes und der räumlichen Beziehungen

So wenig wie in der Erkenntnislehre, so wenig läßt sich in der Sprachbetrachtung ein scharfer Grenzstrich zwischen dem Gebiet des Sinnlichen und dem Gebiet des Intellektuellen in der Weise ziehen, daß beide dadurch als gegeneinander abgesonderte Bezirke bezeichnet würden, deren jedem eine eigene und selbstgenügsame Art der „Wirklichkeit“ zukommt. Die Kritik der Erkenntnis zeigt, daß die bloße Empfindung, in der lediglich eine sinnliche Qualitätsbestimmung gesetzt, von jeder Form der Ordnung aber abgesehen wird, in keiner Weise ein „Faktum“ der unmittelbaren Erfahrung, sondern vielmehr lediglich das Ergebnis einer Abstraktion ist. Die Materie der Empfindung ist niemals rein an sich und „vor“ aller Formung gegeben, sondern sie schließt schon in ihrer ersten Setzung eine Beziehung auf die Raum-Zeit-Form ein. Aber dieser erste bloß unbestimmte Hinweis erhält im stetigen Fortgang der Erkenntnis seine fortschreitende Bestimmung: die bloße „Möglichkeit des Beisammen“ und die „Möglichkeit des Nacheinander“ entfaltet sich zum Ganzen des Raumes und der Zeit, als einer zugleich konkreten und allgemeinen Stellenordnung. Man wird erwarten dürfen, daß die Sprache, als Spiegelbild des Geistes, auch diesen fundamentalen Prozeß in irgendeiner Weise widerspiegelt. Und in der Tat gilt das Kantische Wort, daß Begriffe ohne Anschauungen leer seien, nicht minder für die sprachliche Bezeichnung als für die logische Bestimmung der Begriffe. Auch die abstraktesten Gestaltungen der Sprache weisen noch deutlich den Zusammenhang mit der primären Anschauungsgrundlage auf, in der sie ursprünglich wurzeln. Auch hier trennt sich die Sphäre des „Sinns“ nicht schlechthin von der der „Sinnlichkeit“, sondern beide bleiben aufs engste ineinander verwoben. Der Schritt von der Welt der Empfindung zu der der „reinen

Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/162&oldid=- (Version vom 7.10.2022)