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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/158

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die auf diesem Wege ihre sprachliche Darstellung finden können. So kann z. B., lediglich durch die Tonveränderung, die bejahende Form des Verbums in die verneinende übergehen[1] – oder aber die Bestimmung der grammatischen Kategorie eines Wortes mittels dieses Prinzips erfolgen, indem übrigens gleichlautende Silben durch die Art der Aussprache als Nomina oder als Verba gekennzeichnet werden[2]. Wieder einen Schritt weiter werden wir in die Erscheinung der Vokalharmonie geführt, die, wie bekannt, den gesamten Aufbau bestimmter Sprachen und Sprachgruppen – vor allem den Aufbau der ural-altaischen Sprachen – beherrscht. Hier zerfällt die Gesamtheit der Vokale in zwei scharf geschiedene Klassen, in die Klasse der harten und in die der weichen Vokale, wobei durchgängig die Regel gilt, daß bei der Vermehrung eines Stammes durch Suffixe dem Vokal der Stammsilbe stets ein der gleichen Klasse angehöriger Vokal in den Suffixen entsprechen muß[3]. Hier dient die klangliche Angleichung der einzelnen Bestandteile eines Wortes, also ein rein sinnliches Mittel, dazu, diese Teile auch formal zusammenzuschließen und von ihrer relativ lockeren „Agglutination“ zu einem sprachlichen Ganzen, zu einem in sich geschlossenen Wort- oder Satzgebilde fortzuschreiten. Indem das Wort oder Satzwort sich kraft des Prinzips der Vokalharmonie als Lauteinheit konstituiert, gewinnt es darin auch erst seine wahrhafte Sinneinheit: ein Zusammenhang, der zunächst rein die Qualität der einzelnen Laute und ihre physiologische Erzeugung betrifft, wird zum Vehikel, um sie zur Einheit eines geistigen Ganzen, zur Einheit einer „Bedeutung“ zu verknüpfen.


  1. [1] Vgl. Westermann, Gola-Sprache, S. 66 f.
  2. [2] So haftet z. B. im Äthiopischen (nach Dillmann, Grammat. der äthiop. Sprache, Lpz. 1857, S. 115 f.) die gesamte Unterscheidung der Tat- und Nennwörter zunächst lediglich an der Vokalaussprache. Auch die Unterscheidung der intransitiven Verba, die statt eines reinen Tuns eine zuständliche und leidende Handlung bezeichnen, von den im engeren Sinne, „aktiven“ Verbalausdrücken erfolgt hier durch das gleiche Mittel.
  3. [3] Näheres zum Prinzip der Vokalharmonie in den ural-altaischen Sprachen s. z. B. bei Boethlingk, Die Sprache der Jakuten, Petersb. 1851, S. XXVI, 103, und bei H. Winkler, Das Uralaltaische u. seine Gruppen, S. 77 ff. Grunzel betont, daß die Anlage zur Vokalharmonie als solche allen Sprachen gemeinsam sei, wenngleich sie nur in den ural-altaischen Sprachen zu so regelmäßiger Entfaltung gelangt sei. In der letzteren hat übrigens die Vokalharmonie im gewissen Sinne auch eine „Konsonantenharmonie“ zur Folge gehabt. (Näheres bei Grunzel, Entw. ein. vergl. Gramm. der altaischen Sprachen, Lpz. 1895, S. 20 f., 28 f.) Beispiele für die Vokalharmonie aus anderen Sprachkreisen finden sich für die amerikanischen Sprachen bei Boas, Handbook of Americ. Indian Languages I, 569 (Chinook); für die afrikan. Sprachen vgl. z. B. Meinhof, Lehrbuch der Nama-Sprache, Berl. 1909, S. 114 f.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/158&oldid=- (Version vom 5.10.2022)