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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/147

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Vorstellungsinhalte, sondern die feinsten Schwebungen und Schwankungen des Vorstellungsprozesses auszudrücken. Wenn die Gebärde in ihrer plastisch-nachbildenden Art sich dem Charakter der „Dinge“ besser als das gleichsam körperlose Element des Lautes anzupassen scheint, so gewinnt der Laut gerade dadurch, daß in ihm diese Beziehung abgebrochen ist, daß er als ein bloßes Werden das Sein der Objekte nicht mehr unmittelbar wiederzugeben vermag, seine innere Freiheit. Nach der objektiven Seite hin wird er jetzt fähig, nicht nur als Ausdruck inhaltlicher Qualitäten, sondern vor allem als Ausdruck von Beziehungen und formalen Verhältnisbestimmungen zu dienen; nach der subjektiven Seite hin prägt sich in ihm die Dynamik des Gefühls und die Dynamik des Denkens aus. Für diese Dynamik besitzt die Gebärdensprache, die sich rein im Medium des Raumes hält, und die daher auch die Bewegung nur dadurch zu bezeichnen vermag, daß sie sie in einzelne diskrete Raumgestalten abteilt, noch kein zureichendes Organ. In der Lautsprache indes tritt nun das einzelne diskrete Element zu dem Ganzen der Lauterzeugung in ein ganz neues Verhältnis. Hier besteht das Element nur dadurch, daß es stets aufs neue entsteht: sein Inhalt geht im Akt seiner Hervorbringung auf. Aber dieser Akt der Lauterzeugung selbst gliedert sich nun immer schärfer in besondere unterschiedliche Bestimmungen. Zu der qualitativen Sonderung und Abstufung der Laute tritt insbesondere die dynamische Abstufung durch den Akzent, sowie die rhythmische Abstufung hinzu. Man hat versucht, in dieser rhythmischen Gliederung, wie sie sich insbesondere in den primitiven Arbeitsgesängen darstellt, ein wesentliches Moment der künstlerischen wie der sprachlichen Entwicklung nachzuweisen[1]. Hier wurzelt der Laut noch unmittelbar in der rein sinnlichen Sphäre; aber da das, woraus er entspringt und dem er zum Ausdruck dient, keine bloß leidende Empfindung, sondern ein einfaches sinnliches Tun ist, so steht er andererseits bereits im Begriff, diese Sphäre zu überschreiten. Die bloße Interjektion, der einzelne, von einem übermächtigen momentanen Eindruck abgedrungene Affekt- und Erregungslaut, geht jetzt in eine in sich zusammenhängende geordnete Lautfolge über, in der der Zusammenhang und die Ordnung des Tuns sich spiegelt. „Das geordnete Entfalten der Laute“ – so heißt es in Jakob Grimms Aufsatz über den Ursprung der Sprache – „heißt uns gliedern, artikulieren und die Menschensprache erscheint eine gegliederte, womit das homerische


  1. [1] Vgl. Karl Bücher, Arbeit und Rhythmus; zum Einfluß der Arbeit und der „Arbeitsrhythmen“ auf das Werden der Sprache vgl. die Schriften L. Noirés, Der Ursprung der Sprache, Mainz 1877; Logos-Ursprung und Wesen der Begriffe; Lpz. 1885.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/147&oldid=- (Version vom 20.8.2021)