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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/136

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sind ihre grammatischen Regeln, sind die „Gesetze“, wie die „Ausnahmen“ in der Formenbildung und in der Syntax zu erklären. Den Sprachgebrauch, insofern er Konvention, d. h. schon erstarrte Regel ist, stellt die Syntax dar, den Sprachgebrauch, sofern er lebendige Schöpfung und Bildung ist, betrachtet die Stilistik; der Weg muß also von dieser zu jener, nicht von jener zu dieser gehen, so wahr in allem Geistigen die Form des Werdens es ist, die uns das Verständnis der Form des Gewordenen erst erschließt[1].

Soweit es sich um die bloße Ermittlung der Tatsachen der Sprachgeschichte, um die Kenntnis des Gegebenen handelt, kann freilich der Positivismus als Forschungsprinzip, als „methodologischer Positivismus“ durchaus anerkannt bleiben. Was abgewehrt wird, ist nur jene positivistische Metaphysik, die mit der Ermittlung der Tatsachen auch die Aufgabe ihrer geistigen Deutung erfüllt zu haben glaubt. An ihre Stelle tritt eine Metaphysik des Idealismus, in der als zentrales Glied die Ästhetik erscheint. „Ist die idealistische Definition: Sprache = geistiger Ausdruck zu Recht bestehend“ – so schließt Vossler – „so kann die Geschichte der sprachlichen Entwicklung nichts anderes sein, als die Geschichte der geistigen Ausdrucksformen, also Kunstgeschichte im weitesten Verstand des Wortes[2].“ Aber in dieser Folgerung, in der sich Vossler an Benedetto Croce anschließt, liegt freilich für die Sprachbetrachtung ein neues Problem und eine neue Gefahr. Wieder ist sie jetzt in das Ganze eines philosophischen Systems aufgenommen – aber diese Aufnahme scheint zugleich die Bedingung in sich zu schließen, daß die Sprache sich mit einem der Glieder dieses Systems identifiziert. Wie im Gedanken der allgemeinen, der rationalen Grammatik die Eigenart der Sprache zuletzt in der universellen Logik aufging, so droht sie jetzt in der Ästhetik, als allgemeine Wissenschaft des Ausdrucks, aufzugehen. Aber ist wirklich die Ästhetik, wie Vossler mit Croce annimmt, die Wissenschaft des Ausdrucks schlechthin, oder bedeutet sie nur eine Wissenschaft des Ausdrucks – eine „symbolische Form“, die andere gleichberechtigt neben sich hat? Bestehen nicht analoge Beziehungen, wie zwischen der Sprachform und Kunstform, auch zwischen ihr und jenen anderen Formen, die, wie der Mythos, durch das Medium einer eigenen Bildwelt, eine eigene geistige Bedeutungswelt aufbauen? Mit dieser Frage stehen wir wieder vor dem systematischen Grundproblem, von dem wir ausgegangen waren. Die


  1. [1] Vgl. bes. Vossler, Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft, Heidelberg 1904, S. 8 ff.
  2. [2] A. a. O. S. 10 f.; vgl. bes. S. 24 ff. u. ö.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/136&oldid=- (Version vom 2.10.2022)