Sprachbetrachtung in die rein empirische überging, und in der auch der Begriff des Sprachgesetzes allmählich erst seinen ganz scharfen Inhalt erhalten hat.
Schleicher geht in seinem ersten größeren Werk, den „Sprachvergleichenden Untersuchungen“ (1848) davon aus, daß das eigentliche Wesen der Sprache, als des lautlich-artikulierten Ausdrucks des geistigen Lebens in dem Verhältnis zu suchen sei, in welchem der Ausdruck der Bedeutung und der Beziehung zu einander stehen. Durch die Art und Weise, wie jede Sprache Bedeutung und Beziehung ausdrücke, werde sie charakterisiert: – außer diesen beiden Momenten lasse sich schlechthin kein drittes, das Wesen der Sprache bildendes Element denken. Auf Grund dieser Voraussetzung werden die Sprachen in die drei großen Haupttypen der isolierenden (einsilbigen), der agglutinierenden und der flektierenden Sprachen eingeordnet. Die Bedeutung ist das Materielle, die Wurzel; die Beziehung das Formelle, die an der Wurzel vorgenommene Veränderung. Beide Momente müssen als notwendige Konstituentien in der Sprache enthalten sein; aber wenngleich keines von ihnen an sich völlig fehlen kann, so kann doch das Verhältnis, das sie zu einander eingehen, ein sehr verschiedenes, so kann es ein bloß implizites oder ein mehr oder weniger explizites sein. Die isolierenden Sprachen drücken lautlich bloß die Bedeutung aus, während der Ausdruck der Beziehung der Stellung der Lautworte und dem Akzent überlassen bleibt: die agglutinierenden Sprachen besitzen neben den Bedeutungslauten zwar eigene Beziehungslaute, aber beide sind nur äußerlich mit einander verbunden, indem die Bezeichnung der Beziehung der Wurzel, ohne daß diese eine innere Veränderung erfährt, rein stofflich und sinnfällig angehängt wird. In den Flexionssprachen erst erscheinen beide Grundelemente nicht nur aneinandergereiht, sondern wahrhaft verknüpft und mit einander durchdrungen. War das Erste die differenzlose Identität von Beziehung und Bedeutung, das reine Ansich der Beziehung – das Zweite die Differenzierung in Beziehungs- und Bedeutungslaute, also das Heraustreten der Beziehung in ein gesondertes lautliches Dasein für sich, so ist das Dritte das Aufheben jener Differenz, das sich Zusammenschließen derselben: die Rückkehr zur Einheit, aber zu einer unendlich höheren Einheit, weil sie, aus der Differenz erwachsen, diese zu ihrer Voraussetzung hat und als aufgehoben in sich befaßt. Wenn bis hierher die Betrachtung Schleichers streng dem dialektischen Schema Hegels folgt, das ebensowohl die Wesensbestimmung der Sprache als Ganzes, wie die Auffassung ihrer inneren Gliederung beherrscht, so steht doch andererseits, schon in den
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/124&oldid=- (Version vom 2.10.2022)