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Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/005

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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

Gesetz den Juden Absonderung und Menschenhass vorschreibe, unter Hinweis darauf, dass es im Gegenteil das jüdische Volk zur Milde und Freundlichkeit gegen jedermann, auch gegen Feinde, ermahne und ihm selbst Mitleid mit dem Vieh einpräge (§ 141). Besondere Beachtung verdienen die Bemerkungen über den sich für einen Gott haltenden Hochmütigen (§ 172 ff.), die in offenbarer Anspielung eine vorzügliche Charakteristik des Kaisers Gaius Caligula enthalten.

Im allgemeinen werden in unserem Buche nur solche Gesetzesvorschriften behandelt, die in den Büchern über die Einzelgesetze nicht erwähnt sind. Einige wenige, die dort bereits ausführlich erörtert sind, werden hier noch einmal kurz angeführt, um sie unter dem Gesichtspunkt der φιλανθρωπία in neues Licht zu rücken und eine entsprechende Begründung hinzuzufügen. So das Verbot, Geld auf Zins zu leihen (§ 82 ff.); das Gebot, dem Tagelöhner seinen Lohn an demselben Tage auszuzahlen (§ 88); die Bestimmungen über das Schemitta- und das Jobeljahr (§ 97 ff.); die Vorschrift, Rind und Esel nicht zusammenzuspannen (§ 146 f.). Berührungen mit der rabbinischen Exegese und Halacha finden sich hier verhältnismässig seltener als in den Büchern über die Einzelgesetze. Die ethische Begründung der Gesetzesvorschriften lehnt sich ebenso wie dort vielfach an die Lehren des Stoicismus an. Es ist aber kaum anzunehmen, dass der Begriff der Menschenliebe, der fast das ganze Buch beherrscht, in den Schriften der Stoiker, die Philo benutzen konnte, schon einen so weiten Raum einnahm wie beispielsweise bei Seneca, der in der Betonung des Humanitätsgedankens ebenso wie Philo über den Standpunkt der älteren Stoa hinausgeschritten zu sein scheint. Senecas Ausführungen erinnern oft auffallend an die Lehren, die Philo an der Hand der biblischen Vorschriften entwickelt. Aber eins fehlt Seneca, was bei Philo eine wichtige Rolle spielt, das ist das religiöse Moment: Philo betont die enge Zusammengehörigkeit der Menschenliebe mit der Frömmigkeit, mit der Liebe zu Gott; die wahre Gottesverehrung schliesst auch die allgemeine Menschenliebe in sich, und die Menschenliebe führt umgekehrt auch zur Frömmigkeit; andrerseits ist auch jede Kränkung und unmenschliche Behandlung des Nächsten zugleich ein Frevel gegen Gott. So zeigt sich Philo trotz der Anlehnung an Grundlehren der griechischen Philosophie als selbständiger Denker in der Verknüpfung dieser Lehren mit den auf der Bibel beruhenden jüdischen Vorstellungen von Frömmigkeit und Sittlichkeit. Zugleich gibt er in diesem Buche ganz besonders durch die starke Hervorhebung der allgemein menschlichen Züge der Mosaischen Gesetzgebung dem universalistischen Charakter des Judentums treffenden Ausdruck.

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/005&oldid=- (Version vom 18.8.2016)