Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn | |
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so fügte er zu den Worten „nach dem Bilde“ noch hinzu „nach seiner Aehnlichkeit“, um anzudeuten, dass das Abbild genau und von klarstem Ausdruck war.
[24.] 72 Mit Recht könnte einer fragen, warum wohl Moses die Schöpfung des Menschen nicht einem Schöpfer, wie alles andere, sondern gewissermassen mehreren zuschreibt. Er lässt nämlich den Allvater also sprechen: „Lasst uns einen Menschen machen nach unserem Ebenbilde und unserer Aehnlichkeit“ (1 Mos. 1,26). Er, dem alles untertan ist, sollte ich meinen, hat doch nicht irgend eine Hilfe nötig? Damals als er den Himmel und die Erde und das Meer schuf, brauchte er keinen Mitarbeiter; den Menschen aber, ein so unbedeutendes und hinfälliges Lebewesen, war er nicht imstande ohne die Mithilfe anderer aus eigener Kraft selbst zu schaffen? Die wahre Ursache hiervon weiss selbstverständlich Gott allein; was aber nach wahrscheinlicher Vermutung die glaubhafte und einleuchtende Ursache zu sein scheint, darf nicht verschwiegen werden. 73 Es ist dies folgende. Unter den existierenden [17 M.] Dingen gibt es zunächst solche, die weder mit Tugend noch mit Schlechtigkeit etwas zu schaffen haben, wie die Pflanzen und die unvernünftigen Tiere, jene, weil sie unbeseelt und nicht mit Vorstellungsvermögen versehen sind, diese, weil Geist und Vernunft ihnen abgeht; Geist und Vernunft sind aber gleichsam das Haus, in dem Schlechtigkeit und Tugend sich aufhalten. Dann gibt es wieder solche, die nur Tugendhaftigkeit besitzen und an keiner Schlechtigkeit Anteil haben, wie die Gestirne; denn diese, sagt man, sind Lebewesen und zwar vernünftige Lebewesen, oder vielmehr jedes einzelne ganz Vernunft, jedes durchaus tugendhaft und für alles Böse unempfänglich. Endlich gibt es Wesen von gemischter Natur, wie der Mensch, der alle Gegensätze in sich aufnimmt: Verstand und Unverstand, Sittsamkeit und Zuchtlosigkeit, Tapferkeit und Feigheit, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, um es kurz zu sagen, Gutes und Böses, Schönes und Hässliches, Tugend und Laster. 74 Für Gott den Allvater geziemte es sich nun wohl, selbst und allein die tugendhaften Wesen zu erschaffen, weil sie ihm selbst verwandt sind; auch die Schöpfung der indifferenten Dinge lag ihm nicht fern, da auch
Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/30&oldid=- (Version vom 9.9.2019)