Zum Inhalt springen

Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn

zusammen gezählt würde, nicht den ersten nennt, sondern treffend als einen Tag bezeichnet[1], da er das Wesen der Einheit in ihm erblickte und ihm deshalb diese Bezeichnung beilegte. [4.] Von dem Inhalt (dieses Tages) müssen wir das anführen, was wir zu sagen imstande sind; denn alles zu sagen ist unmöglich. Er ist nämlich vor allen bevorzugt und umfasst die Schöpfung der gedachten Welt, wie der Bericht (der Bibel) über ihn besagt. 16 Da Gott nämlich bei seiner [4 M.] Göttlichkeit im voraus wusste, dass eine schöne Nachahmung niemals ohne ein schönes Vorbild entstehen kann und dass keines von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen tadellos sein würde, das nicht einem Urbilde und einer geistigen Idee nachgebildet wäre, bildete er, als er diese sichtbare Welt schaffen wollte, vorher die gedachte, um dann mit Benutzung eines unkörperlichen und gottähnlichen Vorbildes die körperliche – das jüngere Abbild eines älteren – herzustellen, die ebensoviele sinnlich wahrnehmbare Arten enthalten sollte, wie in jener gedachte vorhanden waren[2].

17 Wir dürfen jedoch weder sagen noch denken, dass die aus den Ideen zusammengesetzte Welt sich an irgend einem Orte befindet; wie sie entsteht, werden wir erkennen, wenn wir ein Gleichnis aus dem menschlichen Leben betrachten. Wenn eine Stadt durch die grosse Freigebigkeit eines Königs gegründet wird oder eines Führers, der sich unumschränkte Macht aneignet und zugleich durch Edelsinn ausgezeichnet ist und seinem Glücke noch mehr Schmuck verleihen will, so kommt ein geschulter Baukünstler, betrachtet

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/10&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. Die Zahl 1 ist in der pythagoreischen Zahlenlehre, weil sie die Quelle aller Zahlen ist, das Symbol des Urgrunds aller Dinge, sie nimmt daher eine besondere Stellung unter den Zahlen ein. Philo findet diese Wertschätzung der 1 auch in der Bibel ausgedrückt, weil in der Septuaginta beim ersten Schöpfungstage (in wörtlicher Uebersetzung des hebräischen יום אחד‎) die Kardinalzahl gebraucht ist: „und es ward Abend und es ward Morgen, ein Tag“ (1 Mos. 1,5) ἡμέρα μία, nicht πρώτη.
  2. Am ersten Tage wurde nach Philos Ansicht die Idealwelt (κόσμος νοητός) geschaffen, das Urbild der sinnlich wahrnehmbaren Welt (κόσμος αἰσθητός). Ihren Ursprung hat diese Ansicht in der platonischen Ideenlehre, speziell in den Gedanken, die Plato im Timaeus p. 28ff. entwickelt.