Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn | |
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der Seele; diese gleicht der Sonne und jene den Kerzen, die angezündet und ausgelöscht zu werden pflegen.
[18] 90 Angemessen heißt es zum Schluß: „Abraham vertraute auf Gott“ (das. 15, 6) zum Lobe des Vertrauenden. Jedoch wird vielleicht mancher sagen: Dies haltet ihr für lobenswert? Wer wird denn nicht, und wäre er der Allerschlechteste und Gottloseste, Gott Glauben schenken, wenn dieser zu ihm spricht und ihm Verheißungen macht? 91 Diesem wollen wir antworten: Ο mein Lieber, ohne Prüfung entziehe weder dem Weisen das ihm gebührende Lob, noch bezeuge den Unwürdigen, daß sie die vollendetste Tugend, Gott vertrauen, haben, noch verurteile unsere Meinung hierüber. 92 Wenn du eine tiefere, nicht ganz oberflächliche Untersuchung anstellen wolltest, würdest du klar erkennen, daß es nicht leicht ist, auf Gott allein, ohne daneben etwas anderes hinzuzunehmen, zu vertrauen, und zwar wegen unserer engen Beziehung zu dem Vergänglichen, mit dem wir verknüpft sind und das uns ja verleitet, auf Geld, Ruhm, Herrschaft, Freunde, Gesundheit und Körperkraft und viele andere Dinge zu vertrauen. 93 Von [p. 486 M.] all diesem sich reinzuhalten und dem Erschaffenen, dem durchaus unzuverlässigen, zu mißtrauen, dagegen auf Gott allein, der ja in Wahrheit allein vertrauenswürdig ist, zu vertrauen, das ist das Werk einer großen, erhabenen Gesinnung, die sich nicht mehr durch etwas Irdisches betören läßt.[1] [19] 94 Schön ist das Wort: „daß ihm das Vertrauen als Gerechtigkeit angerechnet ward“ (a. a. O.). Denn nichts ist so gerecht, wie das reine, ungetrübte Vertrauen auf Gott allein. 95 Aber obwohl dieses gerecht und folgerichtig ist, hält man es für unglaublich, weil die meisten von uns mißtrauisch sind. Sie tadelt die heilige Schrift, indem sie sagt: Sich fest und unverrückbar einzig und allein an „dem Seienden“ verankern, das scheint den Menschen sonderbar, die keine untrüglichen Güter besitzen; aber nach Ansicht der entscheidenden Wahrheit ist es nicht sonderbar, sondern eben nur das Werk der Gerechtigkeit.
[20] 96 „Er sprach aber,“ heißt es weiter, „zu ihm: ich bin der Gott, der dich aus dem Lande[2] der Chaldäer herausgeführt hat, um dir dieses
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/31&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
- ↑ Die religionsgeschichtliche Bedeutung dieser Stelle, an welcher Philo „das stoische Ideal der unerschütterlichen Überzeugung ins Religiöse überträgt“, würdigt Bousset, Kyrios Christos 175f. Es klingt aber nicht nur, wie er hervorhebt, die biblische Idee des Glaubens als Vertrauens auf Erfüllung der göttlichen Weissagung nach, sondern auch das Ideal des Gottvertrauens (בטחון). I. H.
- ↑ So auch Sept. statt „Ur“.