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Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/006

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Herren, aus Scham Freunde ihre Gefährten, wenn sie ihnen etwas nicht nach ihrem Gefallen getan haben. So kenne ich auch Väter, die wegen ihrer Neigung zur Schwelgerei von der strengen philosophischen Lebensweise ihrer Kinder sich weggewendet haben und aus Scham lieber auf dem Lande als in der Stadt haben wohnen wollen.

4 Für alle diese drei Arten von Ursachen lassen sich in den heiligen Schriften Beispiele finden. So flieht aus Haß der nach der Tugend Strebende, Jakob, vor seinem Schwiegervater Laban, vor seinem Bruder Esau flieht er aus Furcht, [547 M.] wie wir sogleich darlegen werden.

5 Hagar dagegen entfernt sich aus Scham.[1] Das geht daraus hervor, daß ihr ein Engel begegnet – eine göttliche Vernunft –, um sie an ihre Pflicht zu mahnen und sie zur Rückkehr in das Haus der Herrin anzuleiten.[2] Sagt er doch ermutigend: Der Herr erhörte deine Demütigung (1 Mos. 16, 11), deren Ursache nicht Furcht oder Haß gewesen ist, – denn jener Affekt setzt eine unedle, dieser eine haßerfüllte Seele voraus – sondern das Abbild der Besonnenheit, die Scham.[3] 6 Wäre nämlich Furcht der Grund ihrer Flucht gewesen, so hätte der Engel zuvor diejenige, die durch ihr Drohen diese Furcht verursacht, besänftigen müssen, denn erst dann wäre die Rückkehr für die Geflohene ohne Gefahr gewesen, nicht eher. Nun wird aber jene (Sarah) von niemandem vorher aufgesucht, da sie von selbst wieder freundlichen Sinnes geworden ist; die andere dagegen lehrt der Tadel, der aus Wohlwollen zugleich Freund und Ratgeber ist, nicht nur Scham, sondern auch eine lobenswerte Kühnheit [4] beweisen; denn Scham ohne Mut sei nur halbe Tugend.

[2] 7 Eine genauere Kennzeichnung wird die folgende Erörterung geben. Wir müssen aber auf die vorhin angegebenen Hauptunterschiede


  1. Wie Philo das meint, lehrt Über die Cherubim § 6: Hagar, die mittlere Bildung, versucht vor dem strengen Leben, das Abraham und Sarah, die Tugendfreunde, führen, zu entfliehen; das ist genau im Sinne des in § 3 gegebenen zweiten Beispieles der Flucht aus Scham. – Ganz anders als hier (vgl. auch unten § 206) über die Flucht der Hagar Quaest. in Gen. III § 26.
  2. Zu dieser Bedeutung des göttlichen Logos (s. unten § 202ff.) vgl. besonders Über die Nachstellungen § 146.
  3. Die Scham gehört nach stoischer Lehre zu den Unterarten der Besonnenheit (Arnim Stoic. vet. fr. III 264); unter diesen erscheint sie in der Aufzählung von Tugenden Über die Geburt Abels § 27.
  4. Philo unterscheidet Der Erbe d. Göttl. § 21 εὐτολμία im guten und τόλμη im schlechten Sinn.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/006&oldid=- (Version vom 21.5.2018)