Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy | |
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Wohle derer, die ihrer (der Speise) bedurften, vom Himmel herabregnete[1] – ist es recht und billig, diesen als Urheber des Hungers und der Drangsal zu bezeichnen, statt umgekehrt als Urheber des Überflusses und der Fruchtbarkeit, der Straflosigkeit und gesetzlichen Ordnung? 174 Aber die Masse der Herdenmenschen glaubt, daß die von göttlichen Worten Gespeisten in Elend und Mühsal dahinleben – denn sie haben die allnährende Kost der Weisheit nie gekostet –, während jene unerkannt von den anderen in Wohlergehen und Frohsinn leben. [31] 175 Darum ist eine so geartete Peinigung eine Förderung, so daß selbst ihre niedrigste Form, die Knechtschaft, für ein großes Gut gehalten wird. 176 Tatsächlich erflehte diese in der Heiligen Schrift ein Vater für seinen Sohn, nämlich der in der Tugend vollkommene Isaak für den törichten Esau. Er sagt einmal: „Mit deinem Schwert sollst du leben und deinem Bruder dienen“ (1 Mos. 27, 40), hält es also für den, der Krieg statt Frieden wählte und wegen der Zwietracht und der Wirren in seiner Seele wie im Kampf Waffen trägt, für das Nützlichste, sich zu unterwerfen, Knechtdienste zu leisten und jedem Befehl von seiten des Liebhabers der Maßhaltung zu gehorchen.[2] 177 Aus den gleichen Ursachen spricht auch, wie mir scheint, einer der Jünger des Moses, mit Namen „Friedfertig“, der in der Sprache der Altvorderen Salomon heißt:[3] „Verachte nicht, mein Sohn, die Zucht Gottes, und entziehe dich nicht seinem Tadel. Denn wen der Herr liebt, den tadelt er, und er züchtigt den Sohn, dessen er sich annimmt“ (Prov. 3, 11. 12). Für so schön gilt also die Strafe und Zurechtweisung, [545 M.] daß durch sie die Gottergebenheit zur Verwandtschaft mit Gott wird. Denn wer ist dem Sohn enger verbunden als sein Vater, und dem Vater enger als sein Sohn? 178 Doch um nicht eine Überlegung an die andere zu reihen und allzu weitläufig zu erscheinen, wollen wir, abgesehen von den schon genannten, noch ein eindeutig klares Zeugnis dafür anführen, daß die so geartete Peinigung ein Werk der Tugend ist. Es besteht nämlich folgendes Gesetz: „Keine Witwe und Waise dürft ihr peinigen: wenn ihr sie aber in
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/048&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
- ↑ Hinter χρησομένων ist mit Wendland ὀμβρηθεῖσαν einzusetzen. [Dies Wort ist wohl schon Z. 14 hinter ἔργον einzufügen. M. A.]
- ↑ Esau ist hier Symbol der ἀφροσύνη (s. o. § 61), Jakob, der Typ des Asketen, Allegorie der σωφροσύνη. Zum Allgemeinen vgl. All. Erkl. III § 193 (und Anm.) und quod omnis probus liber est § 57.
- ↑ Εἰρηνικός ist etymologische Übersetzung des Namens שְׁלמה.