das Tagebuch recht ausführlich schreiben und Briefe an die Eltern in Dresden bauen. War draußen oder drinnen ordentlich gearbeitet worden, dann saß er mit seinen Wirtsleuten oder dem Baron oder auch den gemütlichen Nachbarsleuten, der Familie Vogel, vor einem der Häuser; man unterhielt sich lebhaft, politisierte und diskurierte über den Lauf der Welt. Als er einmal abends erzählte, wie sich 1830 in Dresden die Septemberrevolution abgespielt habe, fand er gespannte Zuhörer. Manches, was er über die Aprilunruhen des Jahres 1831 in sein Tagebuch eingetragen hat, von mir schon im vorhergehenden Kapitel mitbenutzt, hat er den hochaufhorchenden Gebirglern gewiß auch berichtet. Auch von seinen „Fahrten auf der Kreuzschule“ hat er dem biederen Handweber oft erzählt. Ein andermal holte der Baron seine „Stockflöte“ und blies darauf, er selbst aber sang dazu. Dann mußte wieder einmal Griechen- und Türkenspiel herhalten, dessen Figuren ihm der Tischler nach Angabe „geschnitten hatte“. Die Wißbegierde trieb den jungen Mann wohl auch an den Webstuhl eines Barchentwebers; er trieb praktisch Technologie und lernte das Weben so weit, daß er eines Abends stolz in sein Tagebuch schrieb: Ich webte bei Vogels zwei Zoll Barchent. Außergewöhnliche Freuden bereitete ihm auch das Baden im Mühlteich oder vor dem Wehre, wo sogar das Schwimmen gelang. Gänge nach dem benachbarten Schwarzenberg, auf denen nötige Besorgungen mit dem Besuch des Honoratiorengasthofes verbunden wurden, boten erwünschte Abwechselungen. Da erhoben sich denn doch „residenzliche“ Gefühle in ihm; es wurde ihm im Umgange mit „gebildeten“ Leuten angenehm zu Mute.
In Derbes und Törichtes mußte er sich bei der Landbevölkerung finden. Eines Abends wurde der Neubau einer abgebrannten Mühle gehoben; ein Zimmergeselle tat den Spruch und schloß ihn mit den Worten: „Nun, lebt wohl – Geht zu Hause und sauft Euch alle voll!“ Manche Abendstunde erzählten sich die vor den Haustüren sitzenden Gebirgler oder auch ihr Besuch Gespenstergeschichten; da merkte er zu seinem Staunen, wie hier im Gegensatz zur Stadt alles noch in tiefem Aberglauben steckte, ja sogar manche Männer!
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/161&oldid=- (Version vom 14.3.2024)