und begrüßten zugleich die Damen, die er mitbrachte. Dann wurde die Gegend, in der sie gerade gearbeitet hatten, besucht, die Menselblätter revidiert und das Urteil, das meist günstig ausfiel, gesprochen. Als sie mit ihrer Hauptarbeit fertig waren, ging der junge Rachel noch einmal nach dem alten Kloster, durchstöberte alle Gänge, Treppen und Zellen. Er stellte Vermutungen an, wozu dies oder jenes Gelaß einst gedient haben mochte, kurz, der praktische Arbeiter vertiefte sich in die romantische Seite seines Auftrags. Denn trotz dieser seiner Neigung zum praktischen Berufe fehlte es bei ihm nicht an romantischen Neigungen. Das zeigen seine „tiefgefühlten“ Aufzeichnungen über die Töchter des Hauses und seine leidenschaftliche Neigung zu aufregenden Romanen, die er sich auch in Meißen zu verschaffen wußte. Außer den Venezianern von Herloßsohn las er in dieser Zeit die Wiedereroberung von Ofen, die ihn „fast verrückt“ machte. Ganz gewaltig aufgeregt wurde er durch Caroline Pichlers, einer einst sehr beliebten Erzählerin, Roman „Die Schweden vor Prag“. Es sei gestattet, eine Stelle aus dem Tagebuche hier einzufügen, die unter dem Ostersonnabend 1832 eingetragen ist.
„Welche Beweise von Tapferkeit, Großmut und Vaterlandsliebe! Besonders entzückte mich die Scene, wie Odowalsky die Kleinseite von Prag eingenommen hat und Hynko trotz dem Feuer der Schweden über die Brücke stürmt und ruft: Rettet eure Vaterstadt! Die Schweden sind da! Dann die heldenmütige Verteidigung des Brückenturmes und der ehrenvolle Tod, den er Odowalsky, seinem größten Feind, mit Anstrengung des eignen Lebens verschafft! – Köstliche Scenen! – Die Nacht verging in unruhigen Träumen, bis früh um 4 Uhr mich Herr Kühn weckte, da man eben Ostern einläutete. Ich sprang aus dem Bette, zog mich leicht an und sah zum Fenster hinaus. Es war eine schöne Nacht. Die Sterne schienen noch matt. Es wurde mit allen Glocken gelauten, und hie und da ertönten Kanonenschüsse, die ein herrliches Echo gaben. Ich glaubte mich noch halb fast in fieberischen Träumen nach Prag versetzt, wo man eben Sturm läutete und der Feind mit Kanonendonner vorrückte. Fast wäre ich die Treppe hinunter und ins Freie und
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/151&oldid=- (Version vom 13.3.2024)