inhaltschwere Rolle in der Hand zu halten scheint. Nun habt des Lehrlings Dank und lebt für immer wohl, all’ ihr gestrengen Meister von der Schul’!
Die glückliche Mauleselzeit brachte nach Jahren unausgesetzter Arbeit Tage beschaulichen Ausruhens. Da platzte wie eine Leuchtrakete der plötzliche Entschluß meines Schwagers Ernst Teichert hinein, die Wiener Weltausstellung zu besuchen und mich als Reisemarschall mitzunehmen. Er hatte kurz vorher seine unter schweren Mühen und Sorgen errichtete Ofenfabrik vorteilhaft an eine Aktiengesellschaft verkauft, die noch jetzt in Blüte steht, und durfte sich eine zugleich der Belehrung dienende Erholungsreise wohl gönnen. Ich erhielt seine ehrenvolle Berufung am Nachmittag des 7. Oktober und hatte kaum Zeit, mir über die einzuschlagende Himmelsrichtung klar zu werden, den roten Bädecker anzuschaffen und die nötigen Guldenzettel einzuwechseln, denn schon am andern Morgen ging es fort. Abends in Prag angekommen, stiegen wir selbstverständlich im Hotel de Saxe ab. Daß wir aber von unserm Sachsen schon weit entfernt waren, merkten wir alsbald an den uns überall umschwirrenden fremden Sprachlauten. Nur wenn einer etwas von uns wünschte, wie der am frühen Morgen mit der Sammelbüchse auf unserem Zimmer erscheinende barmherzige Bruder, hörten wir deutsch sprechen, aber wahrlich ein Deutsch zum Erbarmen! Der Himmel schüttete den ganzen Tag seinen nassen Segen auf die ungezogene Tochter Roms herab, aber in unserer frischen Wißbegier ließen wir uns nicht abhalten, die palästereichen Straßen zu durchwandern, den Dom und den malerischen alten Judenkirchhof zu besuchen und vor allem zum Hradschin hinaufzusteigen. In den Sälen des mächtigen Schlosses tauchte
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/56&oldid=- (Version vom 28.5.2024)