des Nichts verweisen mußte. Borgen mochte ich nicht, lieber faßte ich den schweren Entschluß, meine Preismünze dem Leihhause anzuvertrauen. Der war auch nicht leicht auszuführen, denn ich schämte mich gewaltig, dorthin zu gehen. Lange stand ich von weitem und beobachtete den Eingang des unfreundlichen magazinartigen Gebäudes an der Promenade. Ich sah einen Dienstmann mit Betten bepackt hineingehen und schämte mich noch heftiger. Zuletzt blieb mir aber doch nichts übrig, als ihm zu folgen. Mein Pfandstück fand bei den Beamten, die sich sogleich darum versammelten, offenbar mehr Anklang, als die Betten. Sie sagten mir aber, sie könnten mir nicht die vollen 150 Mark darauf geben, sondern müßten berücksichtigen, daß die Prägekosten beim Einschmelzen verloren gingen. Da war ich aufs höchste entrüstet und äußerte, sie sollten doch nicht glauben, daß ich das Pfand verfallen lassen würde. Zum Glück war es mir denn auch sehr bald möglich, es einzulösen, und ich habe seitdem das schöne Gedenkstück noch manchesmal mit Wohlgefallen betrachtet. Jedoch mit dem Weltkriege war auch sein Geschick besiegelt. Als das Vaterland alles Gold brauchte, entschloß ich mich leicht, ihm das meinige zu opfern, und übergab die Preismünze dem Verein Heimatdank zugunsten der Kriegsbeschädigten. So habe ich schließlich mein bescheidenes Ehrenzeichen als ein Blättchen in den Ruhmeskranz für unsere deutschen Helden eingeflochten, deren Kriegstaten alles in Schatten stellen, was je ein Heer der alten oder der neuen Welt geleistet hat.
Der Winter 1876/77 fesselte mich an mein Dachparadies im „Pflasterdepot“ bei der Vorbereitung auf die Doktorprüfung. Meine Arbeit über das Basler Konzil wurde als Dissertation ohne weiteres angenommen. Ich habe das Glück gehabt, sie schon nach einigen Jahren von Paul Hinschius in seinem großen Handbuche des Kirchenrechts ausgiebig verwertet zu sehen, so daß sie also nicht wie viele andere als bloße
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/115&oldid=- (Version vom 10.6.2024)