konnte wenig für ihn einnehmen: eine in sich zusammengesunkene kleine Gestalt mit großem Kopfe, breitem glatten Gesicht und langen schwarzen Haarsträhnen, die ihm über die hohe Stirn herabfielen. Treitschke, sein schärfster politischer Gegner, hat ihn einmal etwas unliebenswürdig eine giftige Kröte genannt. Er kann damit nur die Hausunke (bufo calamita) gemeint haben, und eine solche war Wuttke, der immer hinter den Büchern saß, allerdings. In seinen Vorlesungen, die damals nur noch schwach besucht wurden, war Wuttkes Sprechweise sicher und fließend, jedoch störte dabei ein häufiges geräuschvolles Stoßen der Luft durch die Nase. So scharf er die Feder und das Wort zu führen verstand, im persönlichen Verkehr war er mild und höflich. Er bewohnte im Vororte Reudnitz ein eigenes, wohleingerichtetes Haus mit Garten. Im Erdgeschoß lag sein großes Arbeitszimmer, von unten bis oben vollgestopft mit einer reichen Bibliothek, die er noch fortwährend vermehrte, denn er war ein großer Bücherfreund. Man konnte ihn nicht selten in Bücherauktionen antreffen, die auch auf mich immer eine große Anziehungskraft ausübten. Als er dort einmal bemerkte, daß ich mir nicht neuere Darstellungen, wie etwa Giesebrechts vielbewunderte Kaisergeschichte, sondern mittelalterliche Quellenschriften erstand, erntete ich seinen lebhaften Beifall. Wuttkes Lieblingsgebiet war die Geschichte des Schriftwesens, er hatte aber auch eine gern gelesene Darstellung der Leipziger Völkerschlacht veröffentlicht. Auf dem Wege zu seiner Wohnung ward ich durch das Denkmal, das am Grimmaischen Steinwege der am 19. Oktober zuerst in die Stadt eingedrungenen Königsberger Landwehr errichtet war, jedesmal daran erinnert, daß in Leipzig Historie nicht bloß gelehrt wurde, sondern, daß es auch heiliger Boden war, auf dem sich Großtaten der vaterländischen Geschichte vollzogen hatten.
In der ersten Seminarübung, die ich mitmachte, behandelte Wuttke die Bartholomäusnacht. Er legte dabei
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/107&oldid=- (Version vom 7.6.2024)