Er ist also durchaus hellenistisch gebildet gewesen, und als echt hellenistischer Fürst tritt er uns auch auf seinen Münzen entgegen, da er auf diesen anders als die ersten Herodeer, aber ebenso wie sein Bruder Agrippa I. sogar sein eigenes Porträt hat anbringen lassen.
Trotz dieses scharfen Verstoßes gegen das jüdische Gesetz ist H. im übrigen eifrig bemüht gewesen, sich als Förderer seiner jüdischen Glaubensgenossen zu erweisen (s. auch Joseph. ant. Iud. XX 13), wohl weniger aus innerer Überzeugung, als aus politischen Rücksichten. Abgesehen von seinem Eintreten für die Erhaltung der Privilegien der Diasporajuden im J. 41 n. Chr. ist hierfür auch auf seine Wirksamkeit im J. 45 n. Chr. für die Wünsche der jerusalemitischen Juden zu verweisen. Denn gegenüber dem Versuch des damaligen römischen Procurators von Judäa, Cuspius Fadus, die hohepriesterlichen Prachtgewänder wieder dem freien Gebrauch der Juden zu entziehen und in römischen Gewahrsam zu nehmen, scheint auch er energisch protestiert und sich zusammen mit Agrippa II. und seinem Sohne Aristobulos bei Claudius für die Zurücknahme dieses Verlangens eingesetzt zu haben (Joseph. ant. Iud. XX 6–14, bes. § 13; vgl. XV 407).
Claudius hat damals (Ende 45 n. Chr.) die jüdischen Wünsche erfüllt und hat wohl im direkten Anschluß hieran eine weitere, politisch viel bedeutsamere Bitte des H. erfüllt. Er hat ihm nämlich die Aufsicht über den Tempel und den Tempelschatz, sowie das Recht, die Hohenpriester zu ernennen, zugestanden (Joseph. ant. Iud. XX 15), d. h. diejenigen Gerechtsame, die seit der Zeit des ersten H. immer die Beherrscher Judäas ausgeübt haben, Archelaos und Agrippa I. ebensowohl, wie die römischen Procuratoren. Es wurde also damals die nach dem Tode Agrippas I. im J. 44 n. Chr. erfolgte Wiedereinziehung Judäas den Juden etwas versüßt, indem von den Regierungsbefugnissen wenigstens die Kirchenhoheit, das ius circa sacra, einem jüdischen Könige übertragen wurde. H. hat von dem ihm verliehenen Recht sofort Gebrauch gemacht; er enthob den bisherigen Hohenpriester seines Amtes und ernannte an seiner Statt einen andern (Joseph. ant. Iud. XX 16), der jedoch bald wieder durch einen dritten ersetzt wurde (Joseph. ant. Iud. XX 103). S. hierzu Schürer II³ 272 (das J. 44 n. Chr. wird von Schürer wohl zu Unrecht als das Jahr, der Verleihung angegeben).
Von H.s Tätigkeit als König von Chalkis wissen wir nichts Näheres, außer daß er als solcher der Fürstenversammlung von Tiberias in Galiläa (Zeit: zwischen den J. 42 und 44 n. Chr.) beigewohnt hat, zu welcher sein Bruder Agrippa I. römische Vasallenfürsten des vorderen Asiens eingeladen [210] hatte. Der römische Statthalter von Syrien, C. Vibius Marsus, hat freilich diese Fürstenversammlung in eigener Person umgehend aufgelöst (Joseph. ant. Iud. XIV 338–342). Es war aber wohl mehr eine Vorbeugungsmaßregel. Denn da all den Teilnehmern an ihr nichts geschah, darf man in ihr irgendeine gemeinsame Demonstration gegen den Oberherren nicht sehen und danach auch nicht die Stellung der Teilnehmer, so auch des H., zu Rom beurteilen; in dem ganzen wird man vielmehr allein das Werk Agrippas I., das der Erhöhung seiner Machtstellung dienen sollte, zu sehen haben.
Zur Zeit des Todes seines Bruders, im J. 44 n. Chr., muß sich H. gerade in Kaisareia aufgehalten haben, wohin er sich offenbar begeben hatte, um den großen, zur Feier von Claudius’ glücklicher Rückkehr aus Britannien veranstalteten Spielen beizuwohnen (so Schürer I³ 562, 44. Die Auffassung von Schwartz Nachr. Gött. Gesell. phil.-hist. Kl. 1907, 265f., daß es sich um die Feier der üblichen penteterischen Spiele von Kaisareia handele, scheint mir aus den Worten des Josephus nicht zu folgen, eher das Gegenteil; der besondere Andrang von auswärts würde denn auch gerade zu einem besonderen Feste gut passen, und schließlich berücksichtigt Schwartz bei seiner durch die Annahme der penteterischen Spiele bedingten Datierung der Festesfeier auf Anfang März 44 n. Chr. garnicht act. apost. XII 3). H. hat damals, ehe noch der Tod des Königs bekannt wurde, im Einverständnis mit Helkias, dem damaligen Kommandeur der Truppen Agrippas I. (s. meinen Art. Helkias Nr. 1 in Pauly-Wissowas Realencykl. Bd. VIII S. 96), den früheren Oberbefehlshaber Silas, der wegen seiner Invektiven gegen den verstorbenen König schon lange im Gefängnis saß, umbringen lassen. Josephus sieht hierin einen Ausfluß persönlicher Feindschaft, was für den Charakter des H. bezeichnend wäre; ob Josephus recht hat, können wir jedoch nicht entscheiden (ant. Iud. XIX 353).
H. ist schon im J. 48 n. Chr. gestorben. Er hinterließ außer seinem Sohne Aristobulos noch zwei andere Söhne, die ihm seine zweite Gemahlin, Berenike, geboren hatte, Berenikianos und Hyrkanos (Joseph. bell. Iud. II 221. 223; ant. Iud. XX 104). Sein Reich wurde von Rom eingezogen und ist auch später nicht seinem ältesten Sohne Aristobulos, sondern Agrippa II. verliehen worden (s. vorher, sowie Schürer I³ 587; 724). Über die zumeist auf unsern H. bezogene Inschrift, IG III 551, s. S. 77f.
Neuere Literatur: Grätz Gesch. d. Jud. III 1⁵. 344. 358. 361f. Schürer Gesch. d. jüd. Volk. I³ 556. 722ff. II 272.
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/125&oldid=- (Version vom 31.8.2024)