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Seite:Ossendowski - Schatten des dunklen Ostens.djvu/55

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

51

Wir sitzen schweigend im Dunkeln, nur das blaße Licht eines Naphthalämpchens aus der Ecke gegenüber spendet milden Schein, der uns gerade zu sehen erlaubt, wie die dunkle Gestalt des Schamanen reglos vor der Türe steht.

Ein leises, kaum hörbares Säuseln hebt plötzlich an, dem Summen einer Fliege ähnlich, die in der Spinne Netz gefallen.

Stärker und stärker wird der Ton und mir scheint es, als wäre die ganze Stube erfüllt vom Gesumme solcher Fliegen, als machte er die Fensterscheiben erklirren und schlüge an die schmutzige Decke des Gemaches und an die Wände an.

Dünne, zitternde Töne sind es, die oft schmetternd anschwellen und schallend in das Ohr klingen, um gleich wieder leise, wie aus weiter Ferne kommend, zu verklingen.

Seltsame Unruhe erfaßt mich, unverständliches Ahnen von etwas Düsterem und Krankhaftem erfüllt mir die Seele.

Die dunkle Gestalt des Schamanen, die sich kaum von der herrschenden Dunkelheit abhebt, fängt an zu wanken, langsam und fast methodisch im Anfang, dann immer rascher und leidenschaftlicher werdend, bis die Bewegung in die wildesten Sprünge, Krümmungen und Verzuckungen des Körpers übergeht.

Auf einem Fuß dreht sich nun der Schamane, immer schneller, immer schneller, bis er endlich atemlos und abgehetzt zu Boden fällt, mit fürchterlicher Stimme schreiend:

„Sie sind da! Sie sind da!“

Wieder jagen ganze Schwärme von Tönen durchs Zimmer, dem Wirbel eines Sturmes gleichend, einem Aufruhr, der mit fast physischem Schmerz zu fühlen ist.

Mächtige Windstöße umbrausen mich, meine Haare fühle ich flattern und die Papiere am Tisch rauschen.

Eiskalt wird meine Hand und meine Stirne bedeckt sich mit Schweiß.

Die Augen werden mir seltsam scharf, ganz deutlich sehe ich die am Boden liegende Gestalt des Schamanen. Genau unterscheide ich sein bleiches Gesicht und seine glänzenden, weit offenen Augen.

Noch immer hält er in der Hand das feine Kärtchen, drückt es an den Mund und bringt so die schauerlichen und seltsamen Töne hervor.

Empfohlene Zitierweise:
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/55&oldid=- (Version vom 15.9.2022)