Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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Die Jamschtschiki-Organisation hat starke Charaktere hervorgebracht, denn sie hat den halbwilden Bauern im ewigen Kampfe gegen Elemente und Verbrecher Gleichgültigkeit gegen das Menschenleben gelehrt.
In Sibirien, in Tomsk, lebt einer von den letzten der Jamschtschiken, der sich noch an die alte, vogelfreie Zeit erinnerte, an dieses Heldenepos, diesen Kampf um Leben und Geld im Zwielicht der verschneiten, vereisten, sibirischen Wüste.
Er heißt Innozenz Kuchtierin.
Einmal erzählte er im kleinen Bekanntenkreise folgendes:
„Ich habe seinerzeit an dreihundert Schlitten besessen, jedes Gefährt mit drei Pferden bespannt; meine Jamschtschiken waren alle tadellose Bursdien. Jeder meiner Leute, wollte er aufgenommen sein, mußte erst auf seinen Rücken einen Sack von nicht weniger wie vierhundert Pfund werfen können und damit einen Kilometer des Weges gehen. So habe ich sie mir ausgeprobt. Es waren Burschen darunter, die bis an tausend Pfund zu tragen vermochten. Solche gibt es heute nicht mehr. Wir sind einmal mit einer Ladung Tee von Kiachta bis Kasan gefahren. Der Winter war streng. Ein Frost von 40 Grad Reaumur hielt den ganzen Monat an. Die Pferde und die Menschen in ihren nach außen gewendeten Schafpelzen sahen wie weiße Gespenster aus. Der Transport war eine Terminlieferung. Wir gingen Tag und Nacht, nur selten in den Dörfern etwas länger verweilend.
Nahe bei Kansk wanderten wir auf der Landstraße der Ursteppe. Die Bäume, weiß von Schnee, glitzerten im Mondscheinlicht. Der ganze Weg war wie mit Brillanten besät, die hundertfarbig leuchteten. Über unserer Karawane haben sich dichte Dunstwolken gebildet, denn Pferde und Menschen waren erhitzt und ermüdet. Da erblickte ich plötzlich auf dem Schnee durch den Dunst der Menschenleiber hindurch, ein paar Schritte von uns entfernt, etwas Verdächtiges. Eigentlich habe ich es eher gefühlt wie gesehen. Es war still ringsherum, nur die Pferde schnaubten und wieherten. Die Jamschtschiken begleiteten die Schlitten im Laufschritt und fuchtelten mit den Armen, um sich zu erwärmen.
Alles schien in bester Ordnung zu sein, doch konnte ich meine Augen von mehreren Dutzend großer Flecken, die ich am Schnee erblickte, nicht abwenden. Sie schienen weiß zu sein, vielleicht etwas
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/107&oldid=- (Version vom 15.9.2022)