„Die Natur, sagte ich zu meinem Freunde, hat gegen keines ihrer Kinder ungerecht gehandelt. Zwar hat sie mit Rücksicht auf jenes allgemeine Band der menschlichen Gesellschaft, welches am engsten durch gegenseitiges Bedürfniß und gegenseitige Befriedigung geknüpft werden konnte, ihre Güter nicht in gleichem Maaße vertheilet, aber Niemanden hat sie doch ganz enterben wollen. Ein Mensch ganz ohne Fähigkeit, ganz ohne Talent in irgend einer Gattung ist doch immer eine eben so seltne Erscheinung als ein Universalgenie.“ – Möchte doch jeder mit diesem Grundsatze ausgehen, der mit Kunstrichterauge auf Betrachtung menschlicher Versuche in irgend einem Fache ausgeht! Selbst da würde er vielleicht noch viel Gutes entdecken, wo er jetzt, durch ein schwarz gefärbtes Glas, nichts als Schlechtes zu sehen glaubt. Wie sehr würde er aber auch zuweilen, zur Unpartheylichkeit gewöhnt, sein Loblied herab stimmen, und nicht mit Adlersfluge sich zu einem Objekte empor schwingen wollen, welches zu erreichen die Flügel eines kleinern Vogels schon stark genug waren! Unbegränzte Tadelsucht ist Beweis, daß man die Schwierigkeiten nicht kennt, welche, zu einer immerwährenden Erinnerung unser Eingeschränktheit,
Unbekannt: Ueber die Dresdner Gemäldeausstellung vom Jahres 1781. Dyckische Buchhandlun, Leipzig 1781, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neue_Bibliothek_der_sch%C3%B6nen_Wissenschaften_Gem%C3%A4ldeausstellung_Dresden_1781.djvu/1&oldid=- (Version vom 20.12.2024)