Otto Lange: Vorwort (Neue Berliner Musikzeitung 1846) | |
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Fortschritt? Womit bezeichnen wir den gediegenen schöpferischen Standpunkt der musikalischen Gegenwart? Kommt er aus Frankreich, Italien, oder ist er bei uns heimisch in den rauschenden Tönen der neuesten grossen Oper u. s. w.? Absolut verwirklicht ist der Standpunkt niemals. Enthalten ist er gewiss in der Gegenwart; er liegt aber zerstreut in den verschiedenen Elementen der Kunst. Und dafür ist eben die Kritik, dass sie die Erscheinungen sondere und sichte, nicht mit eklektischem Auge eine Ansicht bilde, sondern auf die Höhe des Ideals sich erhebe und so in Wahrheit über den Erscheinungen stehe. Da kann es denn freilich heissen: Irren ist menschlich. Es handelt sich dann aber in der That um nichts mehr und nichts weniger, als um das Princip. Dieses steht oder fällt, und damit sind wir an der Stelle angelangt, von der wir oben ausgingen.
Wie wir hiermit den allgemeinen Gesichtspunkt der Kritik angegeben haben, sei mit Wenigem mir noch bemerkt, dass wir denselben nicht sowohl auf die Erscheinungen der musikalischen Literatur, als auch auf die Kunstleistungen und Kunstinstitute anzuwenden gedenken. Oper und Concerte in einer der ersten, durch den hohen Grad ihrer Intelligenz in seltenem Rufe stehenden Städte bieten dazu hinreichenden Stoff, und ein Blatt, welches Kunstzwecken ausschliesslich dient, wird sich nie wegen Mangels an Raum entschuldigen dürfen, wenn man ihm den Vorwurf einer mangelhaften Begründung seiner kritischen Aussprüche macht. Ein motivirtes Urtheil, es sei noch so scharf ausgesprochen, ist dem wahren Künstler erfreulicher als jede Halbheit. Schärfe und Bestimmtheit ohne Begründung fallen in sich selbst zusammen. Das Eine bedingt das Andere.
Die Correspondenzen sollen gewissermassen eine Reisekarte durch die musikalische Welt sein. Wir sind zu diesem Zwecke mit den angesehensten Städten Europa’s in Verbindung getreten und hoffen durch interessante Nachrichten besonders demjenigen Theile unserer Leser die Lectüre des Blattes angenehm zu machen, in dem der Sinn für Kunstneuigkeiten fortwährende Nahrung sucht. Doch haben die Correspondenzberichte auch ihre ernstere Seite; sie bilden wie in jeder Zeitschrift, so auch in dem Kunstblatte ein wichtiges Moment. Von zuverlässigen Berichterstattern ausgehend dürfen sie wohl als ein Bild der historischen Entwickelung der Kunst angesehen werden und somit dem Musiker vom Fach gerade das am besten gewähren, was die Historie sonst gewöhnlich in sehr trockenen Umrissen darbietet, zumal der historische Standpunkt in der Kunst nur von Nichtkünstlern heut zu Tage noch festgehalten wird. Das rein Historische in der Kunst hat nur Interesse, sofern es der Gegenwart angehört, weil wir in ihr leben und uns ihrer Aeusserlichkeit nicht entziehen können.
Endlich das Feuilleton. Ein geschicktes Feuilleton erscheint uns wie das stärkende und erquickende Mahl nach mühevoller Arbeit. Darum steht es auch immer am Ende einer Zeitung. Es könnte freilich auch stehen wo es wollte; denn nach ihm greift doch der grösste Theil der Leser zuerst. Ein geschmackvoll eingerichtetes Feuilleton pflegt verschlungen zu werden.
Doch lassen wir unsern Feuilletonisten lieber selbst sprechen; das Kapitel ist so eigener Natur, dass nicht ein Jeder darin zu Hause ist.
Zum Schluss recht viel Nachsicht bei unseren Lesern? 0 nein! Die Redensart ist all zu bekannt. Man würde auch fragen: Wozu das? Wollen wir nicht lieber Gleiches mit Gleichem vergelten? Auch gut! Aber überall Gerechtigkeit und Wahrheit!
Heitern Sinn und reine Zwecke:
Nun! man kommt wohl eine Strecke!
Otto Lange: Vorwort. In: Neue Berliner Musikzeitung. 1. Jg. (1846), Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neue_Berliner_Musikzeitung_01_1846-47.pdf/011&oldid=- (Version vom 1.8.2018)