von öffentlichen Lasten, wenigstens für eine Reihe von Jahren, wären Forderungen, die vom Standpunkt der russischen Allgemeininteressen aus durchaus zu vertreten sind. Wenn zunächst Hunderte, und dann Tausende und schließlich Millionen in Rußland in eine Lage gebracht werden, um das volkswirtschaftliche Niveau des Sowjet-Staates wesentlich zu heben, so liegt in dieser Tatsache für Rußland ein so großer Vorteil, daß eine Regierung, um dieses Ziel zu erreichen, auch vor Opfern in bestimmten Grenzen nicht zurückzuschrecken braucht. Eine Lösung der Ostjudenfrage ist zugleich ein russisches Interesse. Diese Frage ist nicht nur eine humanitäre Frage, sondern zugleich eine russisch-politische Frage, der die Sowjet-Regierung ihr staatliches Interesse weiter zuwenden sollte und, wie es scheint, auch zuzuwenden, nicht abgeneigt ist.
Immerhin kann darüber kein Zweifel bestehen, daß eine solche Umsiedlung sehr erhebliche Kosten erfordern wird, die von den Juden der zivilisierten Welt aufgebracht werden müssen. Diese großen Beträge wären freilich nicht eines schönen Tages bereit zu halten; sie wären nur allmählich zur Verfügung zu stellen, denn aus vorsichtiger Klugheit, wie ausgeführt, sollen nicht sogleich Massenverpflanzungen vorgenommen werden, sondern den ersten kleinen Trupps von Pionieren werden erst allmählich, je nach dem Erfolge der Kolonisationstätigkeit, weitere größere Gruppen folgen.
Es ist noch eines in Rechnung zu stellen. Entwickeln sich die Kolonien günstig, und fassen andererseits die Handwerker und Handeltreibenden in den Städten Fuß, so wird das eintreten, was in großem Umfange die Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika bewirkt hat. Die Vorausgezogenen, die in der neuen Umgebung sich eingewurzelt haben,
Paul Nathan: Das Problem der Ostjuden. Philo Verlag und Buchhandlung GmbH, Berlin 1926, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nathan-Das_Problem_der_Ostjuden_(1926).djvu/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)