Bauweise auf sein Programm gesetzt hat. Auf dem Gebiete der bildlichen Darstellung, namentlich auf Gefäßen, Möbeln, Schmuckgegenständen ist jetzt „Volkskunst“ das Losungswort geworden: man greift zurück auf die schlichten Erzeugnisse, an denen vergangene Geschlechter ihre Freude gehabt haben, und überall kann man die Beobachtung machen, daß diese auch heute noch auf den schlichten wie den gebildeten Mann viel wohltuender wirken, als die Karikaturen moderner Kunstrichtungen. Ich verweise ferner darauf, zu welchem Ansehen in unsern Tagen das schlichte Volkslied gelangt ist. Einst hörte man es nur in Hütten und auf der Straße, jetzt erfreut es in großen Sälen Herz und Gemüt von Tausenden, die scheinbar dem Volkstum entrückt sind, und auch im kaiserlichen Palaste ist es Liebling und Schützling geworden. Durch die Anregung des wackern Pommer in Wien ist es neu erweckt und das Interesse dafür überall hingetragen worden, wo die deutsche Zunge erklingt. Selbst auf unsre Literatur ist die volkskundliche Bewegung nicht ohne Einfluß geblieben: sie hat die deutsche Dorf- und Kleinstadtdichtung zu hoher Entfaltung gebracht und ihr durch die Schöpfungen Ganghofers, Hansjakobs, Roseggers, Sohnreys u. a. Tausende von Freunden zugeführt.
So können wir in der Wissenschaft und Kunst hinblicken, wohin wir wollen: überall hat sich die Volkskunde Eintritt verschafft und eine Gemeinde zu gründen gewußt. Und es sind nicht die schlechtesten der Nation, die ihr huldigen. Aber was für uns das wichtigste ist: wo sie regiert, da schweben Kunst und Wissenschaft nicht in den hohen, kalten Regionen, die für den gewöhnlichen Sterblichen unerklimmbar sind, sondern sie leben im Volk und bleiben mit diesem in stetem Wechselverkehr. Und dadurch gibt die volkskundliche Forschung der Nation mit Zinsen das Kapital zurück, das es von ihr empfangen hat. In diesem Sinne will unser Verband wirken und schaffen, und er erbittet sich dazu Ihre Unterstützung: wir arbeiten zum Wohle des deutschen Volkes, zum Wohle unsrer Mitmenschen.
Meine Herren! Ich möchte hier keinen abgerundeten Vortrag über das österreichische Volkslied halten, sondern im Kern nur über ein Unternehmen berichten, welches, wenn alle Ansätze und Wünsche reifen, ein würdiges Denkmal des Volksliedes in Österreich werden soll. Aus mehr als einem Grunde beschränke ich mich hier nur auf das deutsche Volkslied in Österreich.
Gibt es nun ein deutsch-österreichisches Volkslied, das an gemeinsamen hervorstechenden, typischen Eigenschaften erkennbar, sich vom Volkslied in Deutschland und in der Schweiz als eine besondere Erscheinung abhöbe? Diese Frage muß, so allgemein gehalten, verneint werden. Denn in den verschiedenen Ländern und Gauen Österreichs gibt es deutsche Stämme, die voneinander in der Mundart und im Wesen zu verschieden sind, um die gleichen Volkslieder zu schaffen. Außerdem sind die Hügelländer des Westens und Nordwestens, sowie die Umgebungen größerer Städte mit dem deutschen Reich durch hundert Fäden so innig verbunden, daß sie auch am allgemein deutschen Liederschatz innigen Anteil haben. Andererseits aber gibt
Oskar Dähnhardt (Red.): Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde Nr. 8. Richard Hahn (H. Otto), Leipzig 1908, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mitteilungen_des_Verbandes_deutscher_Vereine_f%C3%BCr_Volkskunde_8.djvu/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)